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Tenet-Kritik: Der inszenatorische Wahnsinn des Christopher Nolan
Christopher Nolans „Tenet“ entlädt sich in einem wilden Mix aus Spionage-Thriller, Sci-Fi und cineastischem Bombast. Doch ist die heiß ersehnte Kinohoffnung deshalb ein Meisterwerk oder doch nur verkopfte Augenwischerei? Unsere Kritik liefert Dir die Antwort.
Ob in Form von flüchtigen Erinnerungen in „Memento“, unterschiedlich schnell ablaufenden Traumebenen in „Inception“ oder gar durch Wurmlöcher verursachte Zeitdehnungen in „Interstellar“: Die Zeit war schon immer ein Spielball im Werk von Christopher Nolan.
Fast schon ironisch, dass sein neuester Film gerade in einem Jahr herauskommt, in dem der Zeitfluss dank einer weltweiten Pandemie so langsam wirkt wie selten zuvor. Auch „Tenet“ bildet in Sachen Zeitspielereien keine Ausnahme und hebt sie allein auf inszenatorischer Ebene auf ein ganz neues Level.
Viel wurde im Vorfeld gerätselt, welches abgefahrene Gimmick sich Nolan diesmal für seinen Film einfallen lassen hat – und man wird nicht enttäuscht. In „Tenet“ können sich Dinge und Menschen durch sogenannte Inversion rückwärts durch die Zeit bewegen, während sich um sie herum die ganze Welt aber noch in die richtige Richtung bewegt.
Was inhaltlich kompliziert klingt, ist es auch in der Umsetzung…
Die Handlung von Tenet
Ein CIA-Agent (John David Washington) fliegt während einem seiner Einsätze auf und gerät in Gefangenschaft. Doch auch unter Folter will er seine Kameraden nicht verraten und ist sogar bereit, dafür zu sterben.
Unbestimmte Zeit später erwacht er in einem Krankenbett. Mit seiner Opferbereitschaft habe er sich bewiesen und auch gleich für einen neuen Auftrag qualifiziert, wird ihm mitgeteilt. Für eine mysteriöse Organisation soll er nicht weniger als den Dritten Weltkrieg verhindern.
Damit zusammenzuhängen scheinen mysteriöse Patronen, die laut der Wissenschaftlerin Barbara (Clémence Poésy) aus der Zukunft stammen. Ihr zufolge wurden die Kugeln invertiert, weshalb sie sich nun in der Zeit rückwärts bewegen. Eine Kriegserklärung?
Zusammen mit seinem neuen Kollegen Neil (Robert Pattinson) macht sich der Protagonist auf Spurensuche und stößt bald auf den berüchtigten Waffenhändler Andrei Sator (Kenneth Branagh). Über dessen Frau Kat (Elizabeth Debicki), die längst zur Gefangenen ihres eigenen Mannes geworden ist, will er an den gefährlichen Milliardär herankommen.
James Bond im verschachtelten Zeit-Heist
Wie die Zusammenfassung des Inhalts schon anklingen lässt, erscheint „Tenet“ im ersten Moment wie ein klassischer Spionagefilm in der Tradition von James Bond. Der Held reist über den Globus, führt mehrere riskante Raubüberfälle durch, liefert sich abgebrühte Wortduelle mit dem Bösewicht und flirtet mit dessen entfremdeter Frau.
Doch Christopher Nolan wäre nicht Christopher Nolan, wenn er diese einfache Formel nicht aufbrechen würde. Mit „Tenet“ hat er wieder eine komplexe Rätselbox geschaffen, deren Handlungsstränge sich mit zunehmender Laufdauer verkomplizieren, aber gleichzeitig auch überraschend linear bleiben.
„Versuchen Sie nicht, es zu verstehen. Fühlen Sie es” – des Öfteren fühlt man sich dazu hingerissen, diesem Rat der Wissenschaftlerin Barbara zu folgen. Die visuelle, gestochen kühle Strahlkraft der Bilder von Kameramann Hoyte Van Hoytema („Interstellar“) und die sogartige Filmmusik von Ludwig Göransson („The Mandalorian“) bieten dazu mehr als genug Anreiz.
Doch Handlung und Action gehen in „Tenet“ in gewissem Maße Hand in Hand. Wer von der aufregenden Prämisse der rückwärtslaufenden Zeit gepackt wurde, kommt kaum umhin, auch in den umwerfend kreativen, so noch nie gesehenen Verfolgungsjagden, Prügeleien und Schießereien die Zahnrädchen im Kopf auf Hochbetrieb laufen zu lassen.
Revolutionäre Action von Tenet
Die Frage „Wie haben sie das gemacht?“ bekommt bei „Tenet“ nämlich eine ganze neue Qualität, wenn sich in großangelegten Actionsequenzen Freund und Feind, Kugeln und von Explosionen zerrissene Mauern und ganze Gebäude im selben Bildausschnitt in der Zeit vor- und zurückbewegen. Hier sind nicht nur die Reizrezeptoren, sondern auch die Hirnzellen konstant am Überkochen.
„Tenet“ dürfte tatsächlich der erste Film sein, dessen Actionszenen den Zuschauer vor die Herausforderung stellen, das Gesehene auf einer rein logischen Ebene einordnen und verstehen zu können. Und das ist nicht als Kritik zu verstehen.
Die komplexen Choreografien und die grundlegende Prämisse sind schlichtweg eine so ungewohnte Seherfahrung, dass sich Hirn und Auge erstmal daran gewöhnen müssen. Genau wie der Held muss man sich erst mit den Regeln, Möglichkeiten und Konsequenzen dieser neuen physikalischen Gesetze vertraut machen.
Eine zweite oder dritte Sichtung des Films dürfte also keineswegs eine Übertreibung sein, um mit der vor- und rückwärts krachenden Action und der Handlung Schritt halten zu können. Oder sich überhaupt erst der Frage anzunähern, wie viel Sinn das alles ergibt.
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Washington und Pattinson: Hervorragendes Star-Duo
Hauptdarsteller John David Washington kann dem 007-Vergleich locker standhalten, wenn er mit knallhart-cooler Präsenz jede Szene zu beherrschen weiß. Dass sein namenlos bleibender Protagonist dabei nicht zu unnahbar und fern bleibt, ist aber nicht nur Washingtons Charme zu verdanken, den er schon in „BlacKkKlansman“ eindrucksvoll zur Schau stellte.
Vor allem Co-Star Robert Pattinson („The Batman“) weiß als sympathisch-undurchsichtiger Neil die menschliche Seite seines Partners herauszukitzeln, wodurch der sonst so kühlen Atmosphäre auch eine angenehme Prise Buddy-Humor hinzugefügt wird. Zumindest für Nolan-Verhältnisse.
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Die altbekannte Nolan-Schwäche
Schwächen offenbart „Tenet“ dagegen in der Figur von Milliardärsgattin Kat. „The Crown“-Star Elizabeth Debicki verkörpert diese zwar mit einnehmender Eleganz und unter der Oberfläche brodelndem Zorn und Verletzlichkeit, neben ihrer Mutterrolle werden ihr allerdings kaum eigene Motivationen oder Spielräume zugestanden.
Ein altbekanntes Problem bei Nolan, dessen weibliche Figuren oftmals Gefahr laufen, auf eine simple Projektionsfläche des männlichen Akteurs reduziert zu werden. Bestes Beispiel: die von Marion Cotillard verkörperte Ehefrau des Protagonisten Dominick Cobb (Leonardo DiCaprio) in „Inception“.
Angenehm diabolisch präsentiert sich dagegen Kenneth Branagh („Dunkirk“) als so egomanischer wie cholerischer Fiesling, der sich mit seinen glühenden Kohleaugen und einer Mischung aus Genie und Gewalttäter ins Gedächtnis brennt.
Zurück zu Bond
Eine große Stärke offenbart „Tenet“ aber allein dadurch, dass er auch abseits der Spielereien mit der Zeit ein hervorragender Agententhriller bleibt. Von der Planung der Coups, dem schrittweisen Herantasten an den Dunstkreis des Bösewichts, knallharten Küchenprügeleien und spannungsgeladenen Verbalkonfrontationen bei abendlicher Gesellschaft bleibt kaum ein Wunsch unerfüllt.
Die stille Infiltration eines Hochhauses durch einen Bungeejump im umgekehrten Sinne lässt unwillkürlich an Tom Cruises Ethan Hunt aus der „Mission: Impossible“-Reihe denken. Nur eben eingetaucht in die kühl-präzise Bildwelt von Christopher Nolan.
Wenn dann Stammschauspieler Michael Caine als altehrwürdiger Geheimdienstmann mit dem Anzug-Fimmel der Briten kokettieren darf, glaubt man fast schon einen schmunzelnden Verweis auf seine Rolle in „Kingsman: The Secret Service“ zu erkennen.
Das im Laufe der Handlung erst tröpfchenweise und bald zum Strom werdende Auftreten von sich in der Zeit zurück bewegenden Elementen gewinnt dadurch nur an Schlagkraft. Fast möchte man sich die Augen reiben, wenn zum ersten Mal ein invertiertes Auto durch den vorwärts laufenden Verkehr auf den Protagonisten zugerast kommt.
Und das ist erst der Beginn des rauschhaften Wahnsinns, den Nolan bis hin zum fulminant-bahnbrechenden Finalfeuerwerk auf die Zuschauer losbrechen lässt.
Tenet: Fazit
„Tenet“ besticht, beeindruckt, revolutioniert. Der neue Film von Christopher Nolan bricht sich Bahn in einem technischen, visuellen und konzeptionellen Wahnsinn, der wohl vorerst noch eine Weile seinesgleichen suchen wird. Wie viel Logik und Sinn wirklich dahinter stecken, ist eine Frage für einen anderen Tag. Und eine spannende noch dazu!
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