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“Cortex“ in der featured-Filmkritik: Moritz Bleibtreus düsteres Debüt
Ein Noir-Thriller, der mit Traum und Realität spielt? Funktioniert gut, ist aber nicht perfekt. Warum sich der Kinofilm von und mit Schauspieler Moritz Bleibtreu trotzdem in jedem Fall lohnt, erfährst Du in der featured-Filmkritik zu „Cortex“.
Dass sein Thriller große Fragezeichen hinterlässt, kommentiert Bleibtreu in einem NDR-Interview wie folgt: „Ich habe die Sachen, die ich gemacht habe, eigentlich immer nur gemacht, weil ich sie selbst machen wollte.“ Das ist in Anbetracht der Tatsache, dass „Cortex“ unter anderem von Warner Deutschland produziert und mit 550.000 Euro von der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein unterstützt wurde, eine mutige Aussage. Doch nicht nur Moritz Bleibtreu gefällt sein Film, sondern auch uns.
Hypersomnie: Ein Leben im Snooze-Modus
Hagen (Moritz Bleibtreu) schläft nachts schlecht, ist deswegen tagsüber ausgebrannt und schlummert ständig weg. In seinen Träumen erlebt er Eskapaden des Kleinkriminellen Niko (Jannis Niewöhner). Zu diesen Eskapaden gehört auch eine Affäre mit Hagens Ehefrau Karoline (Nadja Uhl). Gleichzeitig steckt Niko tatsächlich in Schwierigkeiten, weil ein Hamburger Gangster sich von ihm und seinem aggressiven Bruder Dan (Marc Hosemann) hintergangen fühlt. Und auch bei Niko drängt sich das Gefühl auf, dass er irgendwie mit Hagen verbunden ist.
Hamburg Noir – Part I: Der Regisseur Moritz Bleibtreu
In „Cortex“ regnet es viel. Es ist meistens dunkel, Menschen schauen oft ins Leere, Figuren geben oft bedeutungsschwangere Einzeiler von sich. Im Zusammenspiel mit der Kameraarbeit (Thomas W. Kiennast), der Musik (Erwin Kiennast) und dem äußerst Effekt-orientierten Schnitt (Jan Ruschke) entsteht ein stimmungsvolles Gesamtbild, das versteht, zu unterhalten. Wiederholte Szenen aus verschiedenen Perspektiven oder in wechselnder Besetzung und Charaktere, die durch den Regen hetzen, erzeugen eine genretypische Sogwirkung. Hier hat Bleibtreu als Regisseur das passende Händchen bewiesen.
Und obwohl auch andere Medien wie der MDR Vergleiche zu Lynch und Nolan ziehen, bemerken wir zusätzlich, dass die Inszenierung über Strecken hinweg – sicherlich nicht absichtlich – Ähnlichkeiten mit künstlerisch-visuellen Filmen wie „Beyond the Rainbow“ (2010) von Panos Cosmatos aufweist.
Hamburg Noir – Part II: Der Drehbuchautor Moritz Bleibtreu
Dann aber kommt man zum zweiten und schließlich zum letzten Akt und stellt fest, dass die ein oder andere Figur eigentlich nur schmückendes Beiwerk ohne Substanz ist. Wobei: eine richtige Substanz scheinen die wenigsten Figuren zu haben, obgleich die meisten hervorragend verkörpert werden. Spätestens, wenn zwei Gangster völlig atypisch für ihre Rollen plötzlich einen Dialog über Kaffee halten, erkennt der geneigte Tarantino-Fan die Hommage. Es wirkt, als ob der Drehbuchautor Moritz Bleibtreu manche Dinge aus purer Freude am Selbstzweck getippt hat.
Plötzlich läuft der Abspann und reflexartig schießen viele Fragen in den Kopf, auf die Du in anderen Filmen eine Antwort bekämst. Auch grundsätzliche. Moritz Bleibtreu hat sich dazu entschlossen, diese Fragen eben nicht zu beantworten. Kann man machen – wird nicht jedem gefallen.
Noir Choir: Verstörende Töne in Cortex
Erwin Kiennast zeichnet für den Score von „Cortex“ verantwortlich und liefert wirklich ganz großes Kino für die Ohren. Schon das Sound-Design zieht alle Register und überträgt die zum Zerreißen angespannten Nerven der Protagonisten in furchtbare Geräusche. Aber die Musik, teilweise auch nur ein düsterer Klangteppich, verwöhnt das Innenohr mit opulenten Streichern, Chor-Ensemble und vereinzelten elektronischen Noten.
Cortex: Ausgeschlafen, aber verpeilt
Moritz Bleibtreu liefert mit „Cortex“ einen ordentlichen Psychothriller. Die Noir-Atmosphäre inklusive erstklassigem Score und wunderbaren Darstellern überwiegen auf der Pro-Seite. Sie entschädigen für ein Drehbuch, das stellenweise einfach zu selbstgefällig Regie-Vorbilder rezitiert. Wir jedenfalls ziehen ganz kurz unseren Hut für Bleibtreus gelungenes Regie-Debüt und ein sehenswertes Stück Genrekino.
Ein featured-Filmtipp, wenn Du düstere Thriller und verregneten Straßen magst.
Cortex | |
Originaltitel: | Cortex |
Genre: | Psychothriller |
Bundesstart: | 22.10.2020 (Kino) |
Laufzeit: | 96 Minuten |
FSK: | Ab 16 Jahren |
Regie: | Moritz Bleibtreu |
Drehbuch: | Moritz Bleibtreu |
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