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Pelikanblut in der featured-Filmkritik: Wenn Mutterschaft zum Kampf wird
Was tust Du, wenn Du Angst vor Deinem eigenen Kind hast? Diese Prämisse verhandelt „Tore tanzt“-Regisseurin Katrin Gebbe in ihrem neusten Genre-Drama. Warum der Mix aus Adoptionsdrama, Western und Horror funktioniert, erfährst Du in der featured-Filmkritik zu „Pelikanblut“.
Laut Regisseurin Katrin Gebbe, bezieht sich der Filmtitel auf die christliche Symbolik und Ikonographie, des Blut opfernden Pelikans. Demnach füttert die Pelikanmutter ihren hungernden Nachwuchs mit ihrem eigenen Blut. Eine Allegorie für das ultimative Opfer, das Eltern erbringen, während sie ihre Kinder großziehen.
Raya: Ein Systemsprenger
Wiebke (Nina Hoss) lebt mit Adoptivtochter Nicolina (Adelia Constance Ocleppo) auf ihrer Ranch, auf der sie zukünftige Polizeipferde für den Einsatz vorbereitet. Obwohl eine Teenagerin im Haus und das berufliche Pferde-scheu-machen mehr als genug Zeit in Anspruch nehmen, entschließt sich Wiebke, ein weiteres Mal zu adoptieren. Mit der fünfjährigen Raya (Katerina Lipovska) holt sie sich das zweite Kind aus dem Ostblock, nach Hause. Doch das neue Familienglück hält nicht lange an: In albtraumhafter Weise tyrannisiert das Mädchen Gleichaltrige und wird bald zur Bedrohung für die eigene Familie.
Katrin Gebbe: Elevated Drama
Autorin und Regisseurin Katrin Gebbe zeigt erneut, dass anspruchsvolles Drama und Genrefilm aus Deutschland sich gegenseitig befruchten können. Der deutsche Genrefilm - hier verstanden als fantastisches Unterhaltungskino - wird alle Jahre wieder als Problemkind durch die Medien gezerrt. Der Tenor: Die Deutsche Filmförderung setzt nur auf Komödien à la „Keinohrhasen“ und auf pädagogisch wertvolle Vergangenheitsbewältigung. Das ist überspitzt und verkürzt, aber im Kern zumindest nicht falsch. „Pelikanblut“ hingegen wurde gefördert und das, obwohl es an Genre-Elementen nicht mangelt. Wenn nachts, zu unheilschwangerer Musik, der Nebel über die Äcker kriecht oder das Problemkind Raya zu einem Nichts an die Wand starrt, dann sind das Elemente aus dem Horrorsujet sowie das Motiv des „bedrohlichen Kindes“ selbst. Diese Elemente dienen aber allesamt dem Zweck, das Drama einer vergifteten Mutter-Kind-Beziehung zu zeichnen.
Im englischsprachigen Raum, werden Filme wie Ari Asters „Hereditary“ und „Midsommar“ manchmal als „Elevated Horror“ bezeichnet, was in etwa „aufgewerteter Horror“ bedeutet. Obwohl die Filme im Horror angesiedelt sind, erzählen sie doch meist psychologisch tiefschürfende Dramen. Katrin Gebbe geht den Weg andersherum: „Pelikanblut“ ist im Herzen ein Drama, das mit Stilmitteln des Horror- und Western-Genres aufgewertet wird: Man könnte es „Elevated Drama“ nennen.
Nina Hoss: Die Ausnahmeschauspielerin
Nina Hoss ist mittlerweile eine international erfolgreiche Schaupielerin, die die US-Thrillerserie „Homeland“ veredelte und in Volker Schlöndorffs „Rückkehr nach Montauk“ brillierte. Jetzt lässt sie auch den geerdeten „Pelikanblut“ in voller Pracht erstrahlen. Die Leistung der Jungdarstellerin Katerina Lipovska als widerspenstige Filmtochter Raya ist bemerkenswert, keine Frage. Was Nina Hoss aber als Wiebke abliefert, ist ohne Zweifel überragend. An einer Stelle ist das vielleicht nur ein Blick, der einen Moment zu lange steht, der dafür sorgt, dass aus Wirrung plötzlich Angst wird. An anderer Stelle sind das gekräuselte Lippen, die uns glaubhaft machen, dass Wiebke jeden Moment ausrastet. Nina Hoss in „Pelikanblut“ - das ist Schauspiel zum Staunen und sich-mitreißen-lassen. Das tröstet sogar über ein, zwei Längen im letzten Drittel des Films hinweg.
Pelikanblut: Deutsches Kino par excellence
Ausnahme-Regisseurin und Drehbuchautorin Katrin Gebbe liefert, nach „Tore tanzt“ (2013), mit „Pelikanblut“ einen weiteren Genre-Hybriden ab und erzeugt eine düstere Stimmung, ohne dabei ins Selbstzweckhafte zu verfallen. Denn jeder Schock, jeder Effekt und jede Nebelschwade dient der Geschichte, nicht nur der Effekthascherei. Wie weit geht eine Mutter, für ihr Kind? Und wie weit geht sie, damit es ihr Kind bleibt? Ein unbequemer Film, der im Gedächtnis bleibt.
Ein featured-Filmtipp für gruselinteressierte Drama-Fans.
Pelikanblut | |
Originaltitel: | Pelikanblut |
Genre: | Drama / Western / Grusel |
Bundesstart: | 24.09.2020 (Kino) |
Laufzeit: | 121 Minuten |
FSK: | Ab 16 Jahren |
Regie: | Katrin Gebbe |
Drehbuch: | Katrin Gebbe |
Welche Genre-Hybriden kannst Du uns noch empfehlen? Wir freuen uns auf Deine Filmtipps unten in den Kommentaren!