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Seitenwechsel: Beruht das Netflix-Drama auf einer wahren Geschichte?
Seit dem 10. November sorgt das Drama „Seitenwechsel” für große Emotionen auf Netflix. Der Film über zwei Frauen, die ihre ethnische Identität hinterfragen, bewegt mit seiner so faszinierenden wie unglaublichen Geschichte. Doch basiert das Regiedebüt von Schauspielerin Rebecca Hall auf wahren Begebenheiten? Wir klären Dich über die Hintergründe des Films auf.
Rebecca Hall erarbeitete sich dank Filmen wie „Vicky Cristina Barcelona”, „The Town” und zuletzt „The House at Night” einen Ruf als hervorragende Schauspielerin. Mit Seitenwechsel, ihrem Debüt hinter der Kamera, hat die 39-jährige Britin nun auch ihr Talent als Regisseurin unter Beweis gestellt. Ihr Drama, das seit dem 10. November bei Netflix verfügbar ist, versetzte Kritiker:innen fast einhellig in Euphorie.
Doch nicht nur die formidable Inszenierung des Films sorgt für Aufmerksamkeit. Auch die darin erzählte Geschichte dürfte viele Zuschauer:innen erstaunt und aufgewühlt zurückgelassen haben. Haben sich die Geschehnisse in Seitenwechsel tatsächlich so zugetragen oder ist die Handlung etwa rein fiktiv? Die Antwort auf diese Frage erhältst Du im folgenden Artikel.
Seitenwechsel kannst Du übrigens auf Deinem Netflix-Account auch mit Vodafone GigaTV anschauen.
Die Handlung von Seitenwechsel: Darum geht es im Film
New York in den 1920ern: Als Irene Redfield (Tessa Thompson) nach vielen Jahren ohne Kontakt zufällig auf ihre Kindheitsfreundin Clare Kendry (Ruth Negga) trifft, wird sie nicht nur von purer Wiedersehensfreude gepackt. Vielmehr ist sie vollkommen perplex, welches Leben diese mittlerweile führt.
Clare, die genau wie Irene afroamerikanische Wurzeln hat, hat nämlich das sogenannte „racial passing” vollzogen und sich als „Weiße” in die Gesellschaft integriert. Irene hingegen sieht sich selbst als “Schwarze” und hat dementsprechend ihre gesamte Existenz danach ausgerichtet. Zwar sind beide in der jeweiligen High Society angekommen, ihre unterschiedlichen Entwicklungen sorgen jedoch für jede Menge Neugierde und Faszination füreinander.
So lassen sie ihre Freundschaft wiederaufleben, um Einblicke in das Leben der jeweils anderen zu erhalten. Die dadurch entstehenden Spannungen lassen aber nicht lange auf sich warten: Während Clare neidisch auf Irenes großes Ansehen in der Schwarzen Community ist, betrachtet diese wiederum Clares „Seitenwechsel” mit sorgenvoller Skepsis. Vor allem Clares extrem rassistischer Ehemann John (Alexander Skarsgård) wird zu einem großen Streitpunkt zwischen den Freundinnen.
Als sich die inneren Konflikte der beiden Frauen schließlich Bahn brechen, geraten Irenes und Clares Leben ins Wanken: Können sie ihre Beziehung zueinander aufrechterhalten, ohne ihre so sicher geglaubten Identitäten zu verraten?
Seitenwechsel bei Netflix: Eine wahre Geschichte?
Um es kurz zu machen: Nein, im engeren Sinne erzählt Seitenwechsel keine wahre Geschichte. Die Protagonistinnen Irene und Clare sind fiktiv und existierten in Wirklichkeit nicht. Das bedeutet aber noch längst nicht, dass die Story des Netflix-Films an den Haaren herbeigezogen ist.
Ganz im Gegenteil: Seitenwechsel ist eine Adaption des gleichnamigen Romans von Nella Larsen aus dem Jahr 1929. Die Autorin gehörte der Harlem Renaissance an, einer künstlerischen Bewegung afroamerikanischer Schriftsteller:innen sowie Maler:innen. Sie ließ ihre persönlichen Erfahrungen in ihr zweites und zugleich letztes Buch einfließen, welches den Begriff „passing” (so auch der Originaltitel von Roman und Film) weltweit bekannt machte.
Was ist „passing”? Die realen Hintergründe von Seitenwechsel
Dabei handelt es sich um ein soziologisches Phänomen, das es Menschen ermöglicht, eine andere soziale Identität (z. B. Ethnie oder Geschlecht) anzunehmen, ohne dass Außenstehende dies bemerken. Häufig hat dieses Vorgehen das Ziel, als Teil einer Mehrheit anerkannt beziehungsweise von einem anderen sozialen Umfeld zweifellos akzeptiert zu werden, um vermeintliche gesellschaftliche Vorteile genießen zu können.
In Seitenwechsel geht es spezifisch um das sogenannte „racial passing”, das vor allem in den 1920ern eine gängige Praxis war. Laut ihrer Biografie gab sich Nella Larsens afrokaribischer Vater wohl selbst als „Weißer” aus. Demnach machte die spätere Autorin erstmals innerhalb ihrer eigenen Familie „passing”-Erfahrungen.
Aber auch abgesehen davon dürfte Larsen viele Identitätswechsel in ihrem Umfeld mitbekommen haben. Der Soziologe Charles S. Johnson spricht in seinem Buch „Neither Black Nor White Yet Both” von geschätzten 355.000 Schwarzen, die zwischen 1900 und 1920 das „passing” zu Weißen erfolgreich vollzogen.
Zwar wurde dieses gesellschaftliche Phänomen bereits zuvor in der amerikanischen Literatur thematisiert, Larsens Roman war jedoch der erste, der es kritisch hinterfragte und nicht als rein positive Methode darstellte. Ihr Buch gilt deshalb auch heute noch als das bedeutendste Werk über „passing” und hatte prägenden Einfluss auf thematisch ähnliche Romane wie zum Beispiel Philip Roths Bestseller „Der menschliche Makel”.
Dass sich die Britin Rebecca Hall diesen komplexen Stoff für ihr Regiedebüt aussuchte, ist übrigens alles andere als Zufall. Wohl die wenigsten wissen, dass Hall nämlich selbst afroamerikanische Wurzeln hat. Ihr Großvater mütterlicherseits war Schwarz und gab sich ebenfalls für den Großteil seines Lebens als Weiß aus. Die Neu-Regisseurin hat also in vielerlei Hinsicht einen persönlichen Bezug zum Inhalt ihres Films.
Vom Papier auf den Bildschirm: Diese Buchverfilmungen erscheinen 2021 und 2022 auf Netflix.
Der Rhinelander-Prozess: Die Inspiration für Clare und John
Auch wenn alle Figuren in Seitenwechsel von Nella Larsen erdacht wurden, ließ sie sich dennoch von echten Personen inspirieren. Im Fall des Ehepaars Clare und John Kendry stützte sie sich beispielsweise auf Kip Rhinelander und dessen Frau Alice, die Mitte der 1920er für großes mediales Aufsehen sorgten. Was war passiert?
Der wohlhabende und in der High Society von New York hoch angesehene Kip heiratete im Oktober 1924 die der Arbeiterklasse zugehörige Alice Jones. Was nur wenig später die Schlagzeilen der Presse beherrschte, war allerdings nicht der Statusunterschied der beiden, sondern Alices Herkunft. Reporter fanden bei ihren Nachforschungen nämlich heraus, dass deren Vater George Schwarz war.
Kips Familie, die von Anfang an gegen dessen Beziehung zu Alice war, drohte dem frisch Vermählten daraufhin mit Enterbung, wenn er die Ehe nicht annullieren lasse. Schließlich gab Kip klein bei und verklagte seine Frau – nur wenige Wochen nach der Hochzeit – auf arglistige Täuschung. Alice habe laut Klageschrift bewusst ihre Schwarzen Wurzeln verborgen, um sich das „passing” in die Weiße Oberschicht zu ermöglichen.
Nackt vor dem Richter: Bizarre Szenen im Gerichtssaal
Der Fall kam vor Gericht und ging unter der Bezeichnung „Rhinelander v. Rhinelander” in die US-Justizgeschichte ein. Es folgte ein langer und größtenteils absurder Prozess voller Anschuldigungen, der von den Medien ausführlich begleitet wurde und die Aufmerksamkeit der gesamten Nation auf sich zog.
Seinen traurigen Höhepunkt fand das groteske Verfahren in einer auch damals schon unvorstellbaren Szene: So musste sich Alice vor Richter und Geschworenen teilweise entkleiden, damit diese ihre Hautfarbe inspizieren konnten. Ironischerweise gab diese mentale und körperliche Erniedrigung den entscheidenden Ausschlag zu ihrem Sieg.
Das Gericht entschied zugunsten von Alice, da ihr äußeres Erscheinungsbild „offensichtlich dem einer Schwarzen Frau” entspreche. Demzufolge hätte Kip Rhinelander jederzeit bemerken müssen, dass seine Gattin keine „Weiße” sei. Die Ehe der beiden hielt also vorläufig Bestand, bis sich Alice vier Jahre später offiziell von Kip scheiden ließ. Sie erhielt bis zu ihrem Tod im Jahr 1989 die gerichtlich festgelegte monatliche Entschädigungssumme von 300 US-Dollar.
Nella Larsen erwähnte den Rhinelander-Prozess übrigens sogar wortwörtlich in ihrem Roman, da dieser damals in aller Munde war. Im Buch sowie in der Netflix-Verfilmung Seitenwechsel weiß John Kendry ebenfalls nichts von der tatsächlichen Herkunft seiner Frau Clare. Ob sich diese konfliktbeladene Situation ähnlich wie im Rhinelander-Fall entwickelt, kannst Du seit dem 10. November bei Netflix sehen.
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Hat Dich die Geschichte von Seitenwechsel berührt? Verrate es uns in den Kommentaren!