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I Care A Lot-Kritik: Die Verlogenheit des amerikanischen Traums
Rosamund Pike als berechnendes Biest? Was in Gone Girl bereits hervorragend funktionierte, perfektioniert die Schauspielerin in ihrem neuen Film „I Care A Lot”, der am 19. Februar bei Netflix startet. Warum es gut ist, sie dafür zu hassen, verrät Dir unsere Kritik zu der bitterbösen Satire.
Nein, die ganz große mediale Aufmerksamkeit bekam der Film I Care A Lot bisher nicht geschenkt. Vermutlich wird sich auch nach dessen Veröffentlichung am 19. Februar auf Netflix nicht groß etwas daran ändern.
Dabei traut sich die Satire etwas, das man in diesem Genre nicht allzu oft vorfindet: Sie setzt Dir eine durch und durch unsympathische Hauptfigur vor die Nase und zelebriert diesen Umstand genussvoll über fast zwei Stunden Laufzeit.
Regisseur und Drehbuchautor J Blakeson, der schon 2009 mit seinem Debüt Spurlos – Die Entführung der Alice Creed eine beeindruckende Duftmarke hinterließ, hätte aus I Care A Lot gut und gerne ein ironisches Gaunerstück machen können. Dass er stattdessen den weitaus unangenehmeren Weg eines grundlegend garstigen Thrillers konsequent verfolgt, zeugt von Mut und verdient Respekt – ob man den Film nun mag oder nicht.
I Care A Lot kannst Du übrigens auf Deinem Netflix-Account auch mit Vodafones GigaTV anschauen.
Die Handlung von I Care A Lot: Das Big Business mit den Senioren
Marla Grayson (Rosamund Pike) arbeitet als Betreuerin für Senioren und ist in ihrem Job hoch angesehen. Deshalb wird sie vom Sozialgericht immer wieder eingespannt, um sich hilfe- und pflegebedürftiger Rentner anzunehmen. Marla ist jedoch alles andere als eine selbstlose Samariterin. Vielmehr handelt es sich bei ihr um eine eiskalte und gerissene Geschäftsfrau, die sich nicht wirklich um die Belange ihrer betagten Klienten kümmert.
Gemeinsam mit ihrer Berufs- und Lebenspartnerin Fran (Eiza González) nutzt sie ihre Tätigkeit schamlos aus, um sich das angehäufte Vermögen der älteren Menschen zu krallen, indem sie diese entmündigt und von sich sorgenden Verwandten isoliert. Mit Hilfe der korrupten Ärztin Dr. Amos (Alicia Witt) und dem nicht minder skrupellosen Pflegeheimleiter Sam Rice (Damian Young) gelingt ihr das jedes Mal aufs Neue, weshalb ihr Geschäft mehr als erfolgreich läuft.
Jene perfide Routine soll auch bei ihrem neuesten „Pflegefall” wie gewöhnlich ablaufen. Die alleinstehende und schwerreiche Rentnerin Jennifer Peterson (Dianne Wiest) erweist sich allerdings als unerwarteter Stolperstein in Marlas sonst so reibungsloser Betrugsmaschinerie. Zwar gelingt es ihr, die geistig und körperlich fitte Dame in ein Altenheim zu drängen, diesmal erhält sie aber unmittelbar die bittere Quittung zurück.
Mrs. Peterson hat nämlich selbst ein paar düstere Geheimnisse und steht in Verbindung mit dem gnadenlosen Gangsterboss Roman Lunyov (Peter Dinklage). Prompt gerät Marla ins Visier des Kriminellen, der nicht nur ihr dubioses Geschäftsmodell, sondern auch ihr Leben in Gefahr bringt.
Noch mehr spannende Satiren wie I Care A Lot bekommst Du hier vorgestellt.
Nihilismus als Maxime: Fressen oder gefressen werden
Es gibt keine guten Menschen. […] Fairness ist Zynismus, erfunden von reichen Leuten, um den Rest von uns in Armut zu halten.
Der nihilistische Kommentar von Marla Grayson gleich zu Beginn von I Care A Lot gibt sofort die Marschroute des Films vor und sollte vom Zuschauer als Versprechen an die folgenden 118 Minuten angesehen werden. Denn hier hat wirklich so gut wie niemand ein reines Gemüt. Stattdessen bekommt man von Regisseur Blakeson einen amoralischen Menschenschlag serviert, der gar nicht erst in Versuchung kommt, das eigene Verhalten zu reflektieren.
Dementsprechend entpuppt sich das Geschehen in I Care A Lot als Melange aus Gewissenlosigkeit, falschem Stolz und Habgier, die zugleich Faszination sowie Abscheu auslöst. Wo beispielsweise die Coen-Brüder mit skurril-schwarzhumorigen Elementen kurze Ausflüchte geboten hätten, erlaubt sich Blakeson derartige Brüche in seinem Film kaum. Für eskapistische Illusionen gibt es bei ihm keinen Platz.
Lieber vertraut der 43-jährige Regisseur ganz auf seine inszenatorischen Fähigkeiten, um I Care A Lot trotz des darin gebotenen pessimistischen Weltbilds zu einem leicht konsumierbaren Werk zu machen – was ihm auch bestens gelingt. Solch eine Symbiose aus dynamischer Leichtfüßigkeit und Schlag in die Magengrube findet man in dieser Form eher selten in Hollywood und verschafft dem Netflix-Film ein beachtliches Alleinstellungsmerkmal.
Requiem for the American Dream: Der Erfolg ist mit den Ruchlosen
Passend dazu ist seine „Heldin” Marla ein Miststück, wie es im Buche steht. So scharfkantig wie ihre Bob-Frisur sind auch Worte und Persönlichkeit der verschlagenen Business-Lady. Sie ist eine selbsternannte Löwin, ein gewissenloses Raubtier, das alles und jeden verschlingt, der ihr und ihren Plänen im Weg steht.
Ihre Taten rechtfertigt sie damit, dass man es im Leben mit Ehrlichkeit und Zurückhaltung zu nichts bringen werde. Damit formuliert sie gewissermaßen die Kernaussage von I Care A Lot: Der amerikanische Traum ist nur ein verlogenes Konstrukt, aus dem lediglich die Unmoralischsten und Skrupellosesten als Profiteure hervorgehen.
Eine Botschaft, die einem während des Films wohl etwas zu oft aufs Auge gedrückt wird, deren Ausformulierung aber gar nicht nötig gewesen wäre. Charaktere und Story lassen auch so keinen Zweifel aufkommen, dass hier ziemlich viel kaputt ist: Werte, Gesellschaft, Sozialsystem.
Die Figuren in I Care A Lot nehmen diesen Status quo als selbstverständlich an und haben ihn derart verinnerlicht, dass selbst im Angesicht tödlicher Gefahr keine Spur von Reue oder Resignation zu erkennen ist.
Wer sich an diesem vorherrschenden Zynismus nicht stört, wird definitiv Spaß an der rabenschwarzen Satire haben.
Rosamund Pike in I Care A Lot: Grandioses Spiel als Hassauslöser
Einen Löwenanteil daran hat ohne Frage Hauptdarstellerin Rosamund Pike, die für ihre diabolisch-abgeklärte Performance für einen Golden Globe nominiert wurde. Die 42-jährige Britin brillierte bereits in Gone Girl – Das perfekte Opfer als manipulatives Biest, ihre Marla Grayson in I Care A Lot setzt dieser in puncto Rücksichtslosigkeit aber nochmal eins drauf.
Die Parallelen zwischen beiden Rollen sind jedenfalls kaum zu übersehen: Beide Figuren verwechseln Selbstbestimmung mit Selbstgerechtigkeit sowie Stolz mit Arroganz und machen ihr Umfeld für ihr kaltblütiges Vorgehen verantwortlich.
Rosamund Pike scheint darin ihren Rollentypus gefunden haben. Es ist fast schon beängstigend, wie überzeugend die Schauspielerin das hinterlistige Scheusal verkörpert. Jedes aufgesetzte Lächeln kommt wie ein tiefer Schnitt mit dem Messer daher, jeder Monolog ist ein kalkulierter Anschlag.
Im Gegensatz zu ihrer Darstellung in Gone Girl lässt Pike als Marla Grayson aber bewusst jegliche Fragilität ihrer Figur vermissen und genießt diese Art des Spiels sichtlich. Dass man als Zuschauer nichts als reinen Hass für Marla übrig hat, ist wohl das größte Kompliment, das man der Aktrice in diesem Fall machen kann.
Peter Dinklage, Dianne Wiest und Co.: Glanzpunkte im I Care A Lot-Cast
Aber auch der restliche Cast ist hervorragend ausgesucht: Peter Dinklage gelingt das Kunststück, den Smoothie trinkenden, Eclair verspeisenden und Zopf tragenden Gangsterboss Roman Lunyov nie ins Lächerliche abrutschen zu lassen. Seine Mimik ist ruhig und reduziert, wirkt aber gerade deshalb so bedrohlich.
Über Dianne Wiest muss an sich nicht mehr viel gesagt werden. Es war und ist immer noch eine große Freude, die zweifache Oscarpreisträgerin vor der Kamera zu sehen. Als undurchsichtige Seniorin Jennifer Peterson schafft sie gekonnt den Spagat zwischen stiller Verzweiflung und resoluter Widerstandskraft.
Ebenfalls großen Eindruck hinterlässt Birds of Prey-Star Chris Messina. Als Romans schmieriger Anwalt Dean Ericson darf er in einer kleinen Nebenrolle glänzen und nutzt seine knappe Screentime bravourös, um zu zeigen, dass er in seiner Karriere unverdientermaßen oft etwas unter dem Radar fliegt.
Lediglich Eiza González als Marlas Partnerin Fran bleibt gegenüber ihren Kollegen recht blass. Das ist aber auch ihrer Figur im Film geschuldet, die nie über den Status der passiven Stichwortgeberin hinauskommt.
Weitere Infos zum Cast von I Care A Lot gibt es in unserer Übersicht zum Film.
Das Fazit zu Netflix’ I Care A Lot: Dieser Film sollte jeden kümmern
Stilsicher bringt Regisseur J Blakeson sein Werk über die Ziellinie, ohne sich große qualitative Schwankungen zu leisten. Dabei kann er sich zudem auf ein exzellent aufspielendes Ensemble verlassen.
Natürlich ist die Kapitalismus- und Gesellschaftskritik in I Care A Lot nicht neu und hätte hier und da etwas Subtilität vertragen können. Mitunter bleibt im Kampf von Sozialarbeiterin gegen Mafiaboss auch ein wenig die Logik auf der Strecke.
Dennoch wirkt der Film zu keinem Zeitpunkt zu überzogen oder unglaubwürdig. Im Gegenteil: Blakeson hat seine Geschichte um schlechte und noch schlechtere Menschen spannend und erstaunlich ernsthaft inszeniert. Dieser Mut zahlt sich aus und macht I Care A Lot nicht nur zu einer treffsicheren Satire, sondern auch zu einem der besten Netflix-Filme der jüngeren Vergangenheit.
Wie hat Dir I Care A Lot gefallen? Verrate uns Deine Meinung zum Film in den Kommentaren!