Mann mit VR-Brille
Auf ein Wort

„5G ist der Gamechanger für AR- und VR-Anwendungen“

Werden AR- und VR-Anwendungen in Zukunft das Smartphone als digitalen Begleiter ablösen? Und welchen Nutzen haben diese Technologien für Unternehmen? Ein Gespräch mit Michael Albrecht, Mitgründer der Firma A4VR.

Portrait Michael Albrecht
© Michael Albrecht

Co-Founder und Virtual-Reality-Evangelist seit dem ersten Tag. CTO und Experte in interdisziplinären technischen Lösungen für immersive VR-Experiences. 12 Jahre Berufserfahrung in der Audio-Produktion von internationaler TV-Werbung.

Das Smartphone als digitaler Begleiter im privaten sowie auch im Business-Bereich ist längst zum Standard geworden. Nun heißt es, Augmented-Reality- und Virtual-Reality-Brillen könnten es in einigen Jahren ablösen. Und schon heute machen sich Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) daran, unser Leben und die Arbeitswelt zu verändern. Wir sprechen darüber mit Michael Albrecht – Co-Founder und CTO bei der Firma A4VR. Das Unternehmen ist auf die Produktion von VR-/AR-Inhalten spezialisiert und hat auch schon in Zusammenarbeit mit Vodafone spannende Anwendungen realisiert. Unser Thema: Der aktuelle Status quo bei AR und VR, wie sich diese Technologien voraussichtlich entwickeln werden und welche Relevanz 5G dabei hat.

Michael, kannst Du uns bitte zunächst einmal erklären, worin sich AR und VR überhaupt unterscheiden?

Michael Albrecht: „Augmented Reality“ heißt wörtlich übersetzt „erweiterte Realität“. Gemeint ist, dass die echte Realität, die wir mit unseren Augen sehen und mit den anderen Sinnen wahrnehmen, mit digitalen Inhalten gemischt wird. Bei „Virtual Reality“ tauchen wir komplett in die virtuelle, digitale Realität ein und bekommen von der echten Realität um uns herum kaum noch etwas mit. Man muss allerdings auch sagen, dass die Übergänge fließend sind. Wenn nur noch wenig „echte Realität“ durchscheint, kann Augmented Reality zu Virtual Reality werden. In diese Richtung weist auch die technische Entwicklung.

Die meisten von uns kennen diese Techniken in erster Linie aus dem Gaming-Bereich. Aber gibt es auch Einsatzmöglichkeiten für AR und VR für Unternehmen?

Auf jeden Fall! Augmented Reality kommt sehr oft dann zum Einsatz, wenn man seine Hände zum Arbeiten frei halten, aber zum Beispiel aktuelle Informationen im Blick behalten muss. Zum Beispiel, um Wartungstechniker oder Kommissionierer zu unterstützen. Noch spannender werden dann die Möglichkeiten von Virtual Reality. Erfolgreiche Anwendungen liegen hier etwa im Trainingsbereich oder auch im Marketing.

An welche Use Cases denkst Du dabei primär? Hast Du vielleicht ein paar konkrete Beispiele?

Wir haben zum Beispiel für einen großen deutschen Autohersteller eine VR-Anwendung entwickelt, die bei der Brandschutzhelferausbildung unterstützt. Die Mitarbeiter trainieren mit einer VR-Brille und adaptierten Feuerlöschern, in die wir Sensoren und VR-Controller eingebaut haben.

Das birgt eine ganze Reihe von Vorteilen: Die Mitarbeiter haben wirklich den mehrere Kilo schweren Feuerlöscher in der Hand und bedienen ihn realistisch.

Der so erzielbare Lerneffekt ist um ein Vielfaches größer, als wenn man sich nur ein Schulungsvideo oder eine Präsentation anschaut. Das Trainingssystem lässt sich in einer Viertelstunde aufbauen und simuliert auch die Hitze bei einem Brand sowie verbrannten Geruch. Solche multiimmersiven Erlebnisse verankern sich ganz anders im Gehirn, das Anfassen und Bedienen bildet das sogenannte „Muscle Memory“ aus. Die Trainings werden viel realitätsnäher, zudem macht das Lernen mit dieser modernen Technik mehr Spaß. Gleichzeitig können viel mehr Menschen ausgebildet werden, zumal die Feuerlöscher nach der Übung nicht neu aufgefüllt werden müssen und der Löschschaum nicht weggeputzt werden muss. Dieser Use Case hat sich bereits nach zwei Monaten gerechnet.

Ein anderes Beispiel aus dem Marketingbereich ist der Einsatz auf Messen. Wir haben zum Beispiel für einen großen Hersteller von Baumaschinen eine VR-Präsentation realisiert, mit der Lösungen zum Abstützen von Baugruben vorgestellt werden. Vorher hatte das Unternehmen auf Fachmessen wirklich einige Meter tiefe Löcher in den Boden gegraben – doch das hat auf einem Messegelände enge Grenzen. Mit Virtual Reality können auch realistische Baugruben, die zig Meter breit sind, simuliert werden. Die Sales-Mitarbeiter auf der Messe haben auf ihren Tablets gesehen, wohin die Besucher schauen und konnten so unterschiedliche Lösungen aus ihrem Produktportfolio vorstellen.

Du hast angesprochen, dass solche Präsentationen und Trainings auch deshalb gut funktionieren, weil sie einen gewissen Erlebniswert bieten.

Auf jeden Fall. Und auch mehr Emotionen. Aus der Lernforschung wissen wir, dass auf diese Weise vermittelte Inhalte viel besser „hängen bleiben“. Dass das Ganze Spaß macht, hilft da noch zusätzlich. Man spricht von „Gamification“, also der Einbeziehung von Computerspiel-Elementen in ernsthafte Anwendungen. Ein weiteres Erfolgsbeispiel zeigt, wie wichtig die emotionalere Vermittlung von Inhalten ist: Wir haben eine kleine VR-Präsentation für die SOS-Kinderdörfer und die Kindernothilfe gebaut. Deren Mitarbeiter, die auf der Straße Spenden sammeln, bieten den angesprochenen Menschen an, sich für ein, zwei Minuten die VR-Brille aufzusetzen. Darin zeigen wir dann, wie die Hilfsprojekte zum Beispiel in Nairobi konkret aussehen. Die Zuschauer können in diese ihnen fremde Welt förmlich eintauchen. Ich nenne diese Anwendung „Empathiemaschine“. Denn die Spendenbereitschaft derjenigen, die bei diesem Erlebnis mitmachen, wächst dramatisch im Vergleich zum Verteilen von Flyern oder Aufstellen von Schaubildern.

Junge mit VR-Brille
© A4VR
Junge mit VR-Brille
© A4VR
Klassenraum in Nairobi
© A4VR

Die VR-Brille als “Empathiemaschine”? Besonders für NGOs und soziale Projekte sei diese Anwendung sehr interessant, sagt Michael Albrecht.

Klassenraum in Nairobi
© A4VR

Die VR-Brille als “Empathiemaschine”? Besonders für NGOs und soziale Projekte sei diese Anwendung sehr interessant, sagt Michael Albrecht.

„5G ist der Gamechanger für AR- und VR-Anwendungen und wird diesen Markt erst in der gesamten Breite öffnen. Die damit erzielbare Qualität wird dank geringer Latenz und hoher Bandbreiten einen Riesenunterschied machen.“

Michael Albrecht, Mitgründer und CTO, A4VR

Bietet die Technik schon genug Leistung für nützliche Anwendungen? 

Mit Blick auf heute nützliche Anwendungen muss man fast sagen: Der Nutzen stellt sich trotz beschränkter Auflösungen und klobiger Brillen ein. Die genannten Beispiele zeigen ja, warum das so ist. Schon jetzt gelingt es, Umgebungen ausreichend gut zu simulieren, um etwa Anforderungen an Mitarbeiter realistisch zu repräsentieren.  

Es gibt zum Beispiel ein Training für Kindergärtner, bei dem die Kinder um die trainierende Person herumrennen. So etwas lässt sich auf andere Weise kaum simulieren, zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand. 

Auch im medizinischen Bereich gibt es sehr spannende Anwendungen, etwa um Chirurgen auszubilden oder auch bei den tatsächlichen Eingriffen. Dafür können Mediziner sich heute schon in CT-Scans oder MRT-Aufnahmen hineinbewegen und dort umschauen, um etwa Operationen zu planen. Bei Trainings lässt sich die Simulation mit haptischem Feedback kombinieren, um etwa das Gewebe beim Setzen eines OP-Schnitts zu spüren. Dass die Grafiken noch nicht hyperrealistisch sind, tut dem Mehrwert keinen Abbruch. 

Wenn wir uns jetzt aber mal vorstellen, dass solche und andere Anwendungen in einigen Jahren so hochauflösend sind, dass man die Pixel der virtuellen Grafiken gar nicht mehr erkennt, und dass dann auch noch Technologien wie künstliche Intelligenz zu diesen Anwendungen hinzukommen werden, dann zeigt das das Potenzial dieser Technologie.

Wie weit sind wir denn in der technischen Entwicklung? 

Wir stehen tatsächlich noch ganz am Anfang. Wenn man die Entwicklung mit dem Smartphone vergleicht, sind die heutigen Lösungen irgendwo zwischen der ersten und der zweiten iPhone-Generation anzusiedeln. Jetzt muss man sich mal vorstellen, wie die Qualität in wenigen Jahren aussehen wird! Wenn wir bei Apple bleiben: Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass man dort an einer AR-/VR-Brille arbeitet. Die erste Generation, die in rund zwei Jahren erwartet wird, wird noch ein iPhone zum Bereitstellen der Inhalte brauchen. Die Nachfolgerversion soll dann schon autark nutzbar sein.

Auch Facebook, die ja den VR-Brillenhersteller Oculus aufgekauft haben, arbeitet an einer neuen AR-Brille und neuen VR-Brillen – in Zusammenarbeit mit Ray Ban. Die Headsets bieten immer höhere Auflösungen. Das ist wichtig für einen realistischen Bildeindruck oder wenn zum Beispiel Details wie Spaltmaße beim Fahrzeugdesign damit überprüft werden sollen. Und ebenso wichtig: Die Gesichtsfelder werden breiter. Manche aktuellen AR-/VR-Brillen zeigen nur ein beschränktes Sichtfenster. Für maximale Wirkung muss auch das komplette Gesichtsfeld des Menschen von rund 210 Grad abgedeckt werden. 

Das ist in Entwicklung – da kommen bei Hardware und Anwendungen noch wirklich große Durchbrüche auf uns zu. Übrigens sagen viele, dass AR derzeit etwas konkretere Business-Potenziale bietet. Ich bin aber überzeugt, dass die Märke zusammenwachsen werden. In einigen Jahren werden sich beide Technologien in denselben Headsets beziehungsweise Brillen finden. Für AR lässt sie dann das Bild der Realität durch, für VR dunkelt sie sie vollständig ab.

Vodafone Technologie
© A4VR
Vodafone Technologie
© A4VR
Menschen mit VR-Brille
© A4VR

Dank Virtual Reality können Messebesucher fremde Welten erforschen und durch Raum und Zeit reisen – ohne jemals das Messegelände zu verlassen

Menschen mit VR-Brille
© A4VR

Dank Virtual Reality können Messebesucher fremde Welten erforschen und durch Raum und Zeit reisen – ohne jemals das Messegelände zu verlassen

„Je digitaler das Geschäft, umso größer der Nutzen von AR/VR.“

Michael Albrecht, Mitgründer und CTO, A4VR

AR und VR werden auch häufig als wichtige Anwendung für 5G genannt. Ist der LTE-Nachfolger wirklich ein Gamechanger in diesem Bereich?

Zu hundert Prozent. Die kurzen Latenzen und die hohe Bandbreite sind ganz wichtige Faktoren, um AR-/VR-Inhalte in hoher Qualität bereitstellen zu können. Hinzu kommt noch ein weiterer Faktor: Um Akzeptanz zu finden, müssen die AR-/VR-Brillen künftig sehr kompakt sein. Sie dürfen sich optisch kaum von einer normalen Sonnenbrille unterscheiden. Dort passt dann kein Computer mit hoher Rechen- und Grafikleistung rein. Das mit 5G zunehmende Edge-Computing ist dafür die ideale Lösung. Kleinere, leichtere, dünnere Brillen sind dann sozusagen Thin Clients, die Rechenleistung steckt im Netz. Ich sage immer gern, 5G wird der Backbone des Holodecks. Star-Trek-Fans werden verstehen, was ich meine. Ich bin überzeugt, dass 5G diesen Markt erst in der gesamten Breite öffnen wird. Und die damit erzielbare Qualität wird einen Riesenunterschied machen.

Sind AR-/VR-Anwendungen im geschäftlichen Umfeld nur ein Thema für sehr große Unternehmen? Oder liegen hier auch Chancen für KMUs?

Man kann schon mit kleinen Mitteln sehr viel erreichen. Eines unserer ersten Projekte war ein virtueller Rolltor-Konfigurator, den ein mittelständisches Unternehmen in seinen Showrooms einsetzt. So konnten Interessenten sehen, wie ein bestimmtes Tormodell an seiner Garage oder seinem Haus wirkt – und sie konnten die Farben, Größen und Modelle durchwechseln. Überhaupt kann gerade Virtual Reality sehr nützlich sein, um zum Beispiel Architekturprojekte oder andere sehr große Objekte zu visualisieren. Solche Anwendungen können sich auch kleine und mittlere Unternehmen mittlerweile leisten.

Für welche Branchen oder Unternehmen siehst Du da die größten Potenziale?

Das kann man gar nicht einschränken. Wofür nutzen wir heute Displays? Eigentlich für so gut wie alles. Mit AR/VR wird es in wenigen Jahren ähnlich laufen. Da reichen die Anwendungsmöglichkeiten dann von Social Media bis hin zur Industrie. Man kann vielleicht sagen: Je digitaler das Geschäft, umso größer der Nutzen von AR/VR. Ich persönlich bin davon überzeugt, wenn die Brillen gut genug sein werden, werden sie Smartphones, Fernseher und die meisten Displays ersetzen. Das mag noch bis zum Jahr 2030 oder so dauern – aber der Trend ist eindeutig. Heute gibt es weltweit etwa 12 Millionen leistungsstärkere AR-/VR-Headsets, in Zukunft werden die Zahlen explodieren.

Letzte Frage: Was ist die coolste AR-/VR-Anwendung, die Du in letzter Zeit gesehen hast?

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen aufgesetzt, aber es war tatsächlich eine VR-Installation, die wir für Vodafone realisiert haben. Und zwar schon zur CeBIT 2018, der letzten Messe in der CeBIT-Geschichte. In der „Hyper Reality Experience“ haben wir drahtlose VR-Brillen in einer eigenen kleinen Messehalle, dem „VR Dome“, eingesetzt, um den Messebesuchern eine Zeitreise von den Anfängen der Industrialisierung bis hin zur Industrie 4.0 zu präsentieren. Zum Abschluss reisten die Teilnehmer mit einem virtuellen Spaceshuttle zum Mond. Dabei haben wir Motion-Seats und Motion-Plattformen eingesetzt, Luftströme, Temperaturunterschiede und Geruchsaromen. Die Grafiken für die drahtlosen VR-Brillen wurden bereits in einer Edge-Cloud gerechnet. Damit haben wir einen Ausblick auf die Möglichkeiten von 5G für solche Anwendungen gegeben – und waren technisch und inhaltlich ganz weit vorne.

5G ermöglicht viele neue Anwendungen für jede Branche: