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Eine Expertin verrät, welche Kinderfilme deinem Kind guttun
Kinder geraten immer früher mit Medien in Kontakt. Doch welche Filme liefern einem Kind den größten Mehrwert, welche Filme sind tatsächlich pädagogisch wertvoll? Wir haben eine Expertin zurate gezogen.
Im Zuge unseres Themen-Specials Kinderfilme & Gruselspaß haben wir mit Hanna Reifgerst, unserer Expertin in Sachen Kinderfilme gesprochen. Sie arbeitet für den Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V., der sich in Kooperation mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, der Filmwirtschaft, den Förderungen des Bundes und der Länder sowie der Politik für die Initiative Der besondere Kinderfilm einsetzt.
Im Interview verrät sie, warum gerade diese Art von Kinderfilmen essenziell wichtig für die Gesellschaft von morgen sind und welche Kinderfilme eigentlich kindgerecht sind und im Zeichen der Vielfalt stehen. Und nicht zuletzt gibt es noch einige Film-Tipps, die eine positive identitätsbildende Wirkung auf Kinder und Jugendliche ausüben könnten.
Warum originäre Kinderfilme eine Investition in unsere Zukunft sind
Der besondere Kinderfilm fördert sogenannte originäre Kinderfilme, die eine besondere Rolle in der deutschen Film- und Kino-Landschaft spielen. Was genau versteht man unter originären Kinderfilmen und warum sind sie so wichtig?
Unter originären Kinderfilmen versteht man Filme, die nicht auf einer Vorlage basieren, die also keine Adaption sind, aber auch keine Verwertung von bestehenden Marken, wie zum Beispiel eine Spielzeug-Brand, die dann in ein Medium übertragen wird. Das sind also Geschichten, die ausdrücklich fürs Kino und/oder das Fernsehen geschrieben wurden, ohne jegliche Vorlage.
Es gibt ja derzeit ein recht großes Revival von populären Kinderbuch-Klassikern wie Krabat (2008) oder Die Kleine Hexe (2018). Dennoch bleibt der deutsche Kinderfilm trotz gelegentlicher kommerzieller Erfolge immer noch eher eine Randerscheinung, der auch verhältnismäßig wenig Anerkennung zugestanden wird …
Das ändert sich gerade deutlich. In der BRD gab es früher nur wenige Kinder- und Familienfilme. In der DDR war das anders, da wurden über 20 Prozent aller Produktionen für Kinder und Jugendliche hergestellt. Erst Ende der Neunziger hat sich das auch in der Bundesrepublik wieder in diese Richtung entwickelt. Einer der ersten Filme war da zum Beispiel Pünktchen und Anton (1999). Erst da hat man langsam erkannt, dass es dort ein junges Publikum gab, was lange vernachlässigt wurde und das ein Kinderfilm wirklich auch ein ökonomischer Faktor sein kann. Seitdem sind vor allem Adaptionen entstanden …
… während sich der Förderverein Deutscher Kinderfilm e.V. es sich mit Projekten wie dem besonderem Kinderfilm natürlich vor allem zur Aufgabe macht, originäre Geschichten zu erzählen …
Der Förderverein Deutsche Kinderfilm e.V. verteufelt diese Adaptionen absolut nicht - im Gegenteil. Wir denken, es ist wichtig, dass Literaturklassiker auf die Leinwand gebracht werden. Das kann aber auch nicht das Einzige sein. Wir setzen uns vor allem für Vielfalt in den Themen, den Genres und in der Ansprache, aber auch in der Zielgruppe ein.
Es gibt zum Beispiel immer noch wenig Filme und Kinofilme für die ganz Kleinen im Alter von vier Jahren bis Vorschule. Durch Initiativen wie Der besondere Kinderfilm hat sich der Markt allerdings schon signifikant erweitert. Wenn wir vor 15 Jahren 10 bis 12 Kinderfilme im Jahr in Deutschland im Kino hatten, dann war das viel. Sieht man sich die TOP 100 deutschen Filme von 2017 an, die die Filmförderungsanstalt (FFA) erfasst hat, waren letztes Jahr bereits 27 Kinderfilme unter den Top 100. Auch der Marktanteil wächst stetig.
Die Kleine Hexe ist bei Maxdome, Sky (Links zu Anzeigen) und in der Unitymedia Videothek verfügbar. Pünktchen und Anton ist bei Maxdome verfügbar (Link zur Anzeige). Bibi und Tina - Tohuwabohu Total ist bei Maxdome verfügbar (Link zur Anzeige).
Deine Kids können von Kindergruselfilmen nicht genug bekommen? Dann erfahre alles über die welche Gruselfilme für Kinder wir dir empfehlen können.
Kinderfilme im Zeichen der Themen-, Genre- und Figuren-Vielfalt
Welches sind ihre Top-Kinderfilme der letzten zwei Jahre, die vor allem im Zeichen der Vielfalt stehen?
Ich war ein großer Fan von Die Kleine Hexe. Eine tolle Literatur-Adaption! Der Film macht Spaß, es gibt eine starke Frauenfigur - ein absolut aktuelles Thema. Ein weiterer Film, der einen Unterschied macht, ist Amelie rennt (2017). Er gehört eher dieser neuen Generation von Kinderfilmen an, die vor einigen Jahren noch völlig unmöglich gewesen wären.
Es ist eine originäre Geschichte mit einer starken Mädchenfigur, die übrigens diese Woche mit dem Drehbuchpreis für den besten Kinderfilm, dem Kindertiger, ausgezeichnet wurde. Klar reden wir bei diesem Film nicht von Budgets wie bei Die kleine Hexe. Ansonsten sind nach wie vor skandinavische Filme der Stern am Himmel des Kinderfilms.
Welche skandinavischen Kinderfilme würden Sie zum Beispiel als empfehlenswert deklarieren?
Da gibt es zwei, die ich nennen würde, auch weil sie für eine persönliche Entwicklung eine große Rolle gespielt haben: Da gibt es einmal Die Farbe der Milch (2004), ein norwegischer Kinderfilm. Eine zauberhafte Sommergeschichte über den letzten Sommer der Kindheit. Für die Hauptperson bedeutet er vor allem ein Chaos der Gefühle. Alles gerät durcheinander. Das ist eine sehr kleine poetische Geschichte, aber ausgelegt auf einen Charakter.
Außerdem gibt es da noch Der Traum (2006), eine dänische Geschichte von 2007. Der hat vor allem in Europa eine große Kinderfilmkarriere hingelegt. Er spielt Ende der Sechzigerjahre in einer Schule, in der trotz Verbot immer noch die Prügelstrafe herrscht. Er stellt einen Jungen in den Fokus, der aufbegehrt gegen den Direktor, der das immer noch praktiziert. Vor historischer Kulisse schafft dieser Film es, die Emanzipation und Bewusstwerdung eines Kindes hochemotional zu verbildlichen.
Eine sehr politische und äußerst wertvolle Geschichte. Die Skandinavier schaffen es einfach, mit unterhaltsamen Ansätzen sehr emotionale und bedeutungsvolle Geschichten für Kinder zu erzählen.
„Die Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen heute ist gleichzeitig eine Investition in das Publikum von morgen“, heißt es auf der Webseite des Fördervereins Deutscher Kinderfilm e. V.. Diese Aussage hat ja gleich mehrere Bedeutungsebenen …
Ja, vor allem weil es nicht mehr nur um Bildung und Genuss geht, sondern auch und vor allem um ein weltoffenes Gedankengut. Das ist eine wichtige Investition in die Menschen von morgen, die eines Tages politische Entscheidungen treffen werden. Darüber hinaus gibt es natürlich Themen wie die Loslösung von den Eltern, die Bedeutung von Freundschaft, Schule - diese klassischen Kinderthemen eben. Die spielen in der Entwicklung natürlich ebenfalls eine große Rolle und sollten medial verarbeitet werden.
Amelie rennt ist bei Maxdome verfügbar (Link zur Anzeige).
Wie verlässlich ist die FSK und was macht einen Kinderfilm kindgerecht?
Heutzutage kommen Kinder früh mit Medien in Berührung. Gibt es so eine Art empfohlenes Mindestalter? Gibt es Richtlinien, die Sie vorschlagen würden, nach denen ich mich als Elternteil richten könnte?
Pauschalisierungen sind da immer schwierig. In Deutschland haben wir ja die FSK, die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft, die sich damit beschäftigt, welche Inhalte für welche Zielgruppen geeignet sind. Eine FSK 0 darf dabei allerdings beispielsweise nicht als Empfehlung verstanden werden. Auch ein Film der ab 6 oder ab 12 Jahren freigegeben ist, muss tatsächlich nicht unbedingt ein Film sein, der für Kinder geeignet ist. Das ist oft sehr missverständlich. Da gilt es, sich als Eltern selbst zu informieren.
Dabei spielt natürlich auch noch die individuelle Konstitution des Kindes eine Rolle. Das Wichtigste ist und bleibt die Auseinandersetzung und die Begleitung der Kinder bei der Mediennutzung - egal ob im Kino, bei Büchern oder Spielen. Wer nach konkreteren Angaben sucht, der sollte sich mal auf den Seiten des Kinder- und Jugendfilmportals, was vom Kinder- und Jugendfilmzentrum betrieben wird oder auch die FLIMMO, eine Fernseh- und Programmzeitschrift, die für Eltern und Pädagogen herausgegeben wird, ansehen.
Harry Potter und die Kammer des Schreckens ist bei Sky, Maxdome (Links zu Anzeigen) und in der Unitymedia Videothek verfügbar.
Film-Tipps: Kinderfilm vs. Kindheitsfilm
Was macht für Sie einen guten Kinderfilm aus und wann ist ein Film eigentlich kindgerecht?
Mir persönlich geht es dabei tatsächlich in erster Linie um gute Filme im klassischen Sinne. Aber natürlich sind Kinderfilme immer mit einem besonderen Auftrag verbunden, weil es um Schutzbedürftige geht, die man den Medien aussetzt. Es gibt idealerweise einen kindlichen Protagonisten, aus dessen Perspektive erzählt wird und dessen Probleme auf kindgerechte Art und Weise verhandelt werden.
Im Gegensatz dazu gibt es viele Kindheitsfilme, die aber keine Kinderfilme sind. So zum Beispiel sind Filme mit einem offenen Ende für Kinder häufig schwierig zu verarbeiten, zum Beispiel wenn Konflikte nicht aufgelöst werden. Kindheitsfilme sind zum Beispiel Mein Leben als Hund (1985) von Lasse Hallström - ein fantastischer Film über einen verunsicherten Jungen, dessen Mutter stirbt.
Die Problematik wird allerdings eher auf erwachsener Ebene behandelt. Außerdem fällt mir noch der deutsche Film Jack (2014) ein - eine Vernachlässigungsgeschichte und ein wunderbarer Kinofilm mit einem jugendlichen Protagonisten, der allerdings ebenfalls für Kinder nicht unbedingt geeignet sein dürfte.
Mein Leben als Hund ist bei Maxdome verfügbar (Link zur Anzeige).
Wie berechtigt ist die ständige Disney-Kritik?
Wer über Kinderfilme spricht, kommt um Disney nicht herum. Viele Disney-Filme wie der König der Löwen (1994), Bambi (1942) oder Findet Nemo (2003) drehen sich um den Tod oder den Verlust eines Elternteils. Häufig wurde Disney dafür schon kritisiert. In einer Studie namens CARTOONS KILL fanden Psychologen heraus, dass in Disney-Filmen wichtige Charaktere 2,5-Mal häufiger sterben als in Filmen für ein erwachsenes Publikum. Ist das wirklich so bedenklich?
Ja, diese Filme nehmen sich sehr essenzieller Themen an und ich finde, davor darf auch nicht zurückgeschreckt werden. Es gibt Kinder, die haben Herzschmerz, die haben vielleicht ihre Eltern verloren. Es ist die Aufgabe, ein breites Spektrum an Themen anzubieten und dazu gehören auch die schweren Themen, denn die sind Teil unseres Lebens.
Wichtig ist vor allem, wie diese Geschichten erzählt werden. Eine geschätzte Kollegin von mir, die ein Kino betreibt, sagt immer: Der beste Kinderfilm, den sie je gesehen hat, dreht sich darum, dass ein Kind erst die Mutter verliert, dann vom Vater getrennt wird und mit einer Gruppe Verrückter irgendwo verloren geht.
Die Rede ist von Findet Nemo. Wenn man es so herunterbricht, fragt man sich, was man seinen Kindern eigentlich damit antut. Doch die Art und Weise, wie es erzählt wird, verleiht der Geschichte ganz viele Facetten. Und eigentlich geht es um eine universelle Vater-Sohn-Beziehung, die über allem steht.
Disney wird häufig auch für seine Schönheitsideale kritisiert. Kann man entgegenwirken, wenn Bilder zu großen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung eines Kindes nehmen?
Auch hier können nur Filme und Medien helfen, die eben diese Vielfalt aufweisen, für die wir uns einsetzen. Und auch Disney versucht mittlerweile, diversere Filme für Kinder zu machen. Ich spreche da zum Beispiel von Filmen wie Merida (2012). Mit Die Eiskönigin (2013) folgte zwar keine Abwandlung der gängigen Prinzessinnen-Schönheitsideale, aber inhaltlich kam damit natürlich ein totaler Paradigmenwechsel auf. Ich kann das nachvollziehen, dass die Darstellungen teilweise kritisch gesehen werden, auf der anderen Seite ist das natürlich auch das Spiel mit der Fantasie.
Ich würde mir aber schon wünschen, dass es noch stärker um charakterliche Eigenschaften gehen würde als um die Schönheit. Allerdings kann man wiederum auch nicht leugnen: Kinder haben ein großes Empfinden für Ästhetik. Sie mögen schöne Dinge und schöne Menschen und nicht jeder Film muss immer Bildung sein.
Manche dürfen auch nur mal schön sein. Natürlich können wir unsere Verantwortung da trotzdem nicht vernachlässigen, denn wir sprechen hier ja immer noch vom Erstkontakt mit den Medien - und die sind sehr prägend.
Findet Nemo ist bei Sky, Maxdome (Links zu Anzeigen) und in der Unitymedia Videothek verfügbar. Merida ist bei Maxdome (Link zur Anzeige) und in der Unitymedia Videothek verfügbar. Die Eiskönigin ist bei Sky, Maxdome (Links zu Anzeigen) und in der Unitymedia Videothek verfügbar.
Jugendfilme mit identitätsbildender Wirkung
Auch der Jugendfilm ist, was das angeht, nicht uninteressant. Eine Studie der FSK und der deutschen Filmwirtschaft Wiesbaden zeigte, dass sogar Filme wie Die Tribute von Panem (2012) bei Probanden Vorurteile und Ängste abzubauen half. Diverse Rollenbilder wurden durch den Konsum akzeptiert und politische Strömungen kritischer hinterfragt. Es wurde eine eindeutig identitätsbildende Wirkung bei den jungen Probanden festgestellt. Haben Sie noch weitere Filmempfehlungen, die eine ähnliche Wirkung erzielen könnten?
In Das Schweigende Klassenzimmer (2018) geht es zum Beispiel um politisches Engagement, Gruppendynamiken und Charakterbildung - ein bemerkenswerter Film! Wenn wir beim Jugendfilm bleiben, findet man leider die Perlen erst, wenn sie dann für einen Deutschen Filmpreis nominiert wurden.
Einen Blick abseits vom Mainstream-Kino zu werfen, macht sicherlich Sinn. Mir fällt da zum Beispiel Simpel (2017) mit David Kross in der Hauptrolle ein. Ein älterer Bruder kümmert sich um seinen geistig behinderten kleineren Bruder - eine ganz tolle Coming-of-Age-Geschichte, wo es auch darum geht, seinen eigenen Platz im Leben zu finden.
Das Schweigende Klassenzimmer beruht übrigens auf wahren Begebenheiten!
Das schweigende Klassenzimmer ist bei Sky, Maxdome (Links zu Anzeigen) und in der Unitymedia Videothek verfügbar.
Tote Mädchen lügen nicht: Entpädagogisierung - ja oder nein?
Die Netflix-Serie Tote Mädchen lügen nicht (2017) wurde von vielen Kritikern und Jugendlichen wegen seiner Authentizität sehr gelobt - letztendlich aus demselben Grund, warum viele Kinder- und Jugendpsychologen das Format verteufelten: der Mangel an Vorbildern, Lösungen und Auswegen sorgte für harsche Kritik. Entpädagogisierung - ja oder nein?
Erst mal würde ich widersprechen. Ich sehe es nicht so, dass da keine Lösungen vorgeschlagen wurden. Die Serie wurde in den USA durch eine große Jugendorganisation unterstützt, die damit auf Probleme an Schulen aufmerksam machen wollte.
Es gab auch ein großes Netzwerk - zumindest wenn man das Format nicht nur singulär als Serie sieht. Auch innerhalb der Serie wird immer wieder klar, dass es andere Wege gegeben hätte, um Dinge zu verhindern. Und der Suizid wird so drastisch dargestellt, dass es klar ist, dass Selbstmord keine Option sein kann.
Ähnlich haben wir in unserem Artikel zur Frage wie gefährlich Tote Mädchen lügen nicht ist ebenfalls argumentiert. Überhaupt lobten Kritiker die Serie vor allem für ihre Authentizität, auch jenseits von eher unrealistischeren Dawson’s Creek-Vorbildern …
Auch schön, wenn es sowas gibt. Tote Mädchen lügen nicht sehe ich als großes Gesprächsangebot, aber man muss auch bereit sein, das anzunehmen. Man muss Jugendliche auf Augenhöhe ansprechen, wie diese Serie es tut: Sie erlaubt sich keine Urteile, sie macht sich über diese Thematiken nicht lustig.
Es geht um Vergewaltigung, Mobbing und Gewalt, sowohl psychischer als auch physischer Natur. Je direkter der Zugang zu solchen Themen vermittelt wird, desto besser. Und die Serie vermittelt das Anliegen, das junge Publikum durch eine emotionale Geschichte anzusprechen.
Tote Mädchen Lügen nicht ist bei Netflix verfügbar (Link zur Anzeige).