Adarsh Gourav in Der weiße Tiger
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Bild aus Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim
Plakat zum Musical-Film Wicked

Der weiße Tiger bei Netflix: Die Kritik zur Bestseller-Verfilmung

Große Hoff­nun­gen set­zt Net­flix in die am 22. Jan­u­ar beim Stream­ing-Dienst star­tende Romanadap­tion „Der weiße Tiger”. Ob das indisch-amerikanis­che Dra­ma diese erfüllen kann oder nicht, erfährst Du in unser­er Kri­tik zum Film.

Dass es irgend­wann zu ein­er Ver­fil­mung von Aravind Adi­gas Debütro­man Der weiße Tiger kom­men würde, war so sich­er wie der Gong im Ashram. Der inter­na­tionale Best­seller wurde von der Kri­tik begeis­tert aufgenom­men und gewann 2008 unter anderem den pres­tigeträchti­gen Man Book­er Prize.

Daher ging Regis­seur Ramin Bahrani (Fahren­heit 451) auch ein großes Wag­nis ein, das Buch für Net­flix zu adap­tieren, da Lit­er­aturver­fil­mungen oft mit ein­er hohen Erwartung­shal­tung verknüpft sind. Doch wer sollte sich son­st der Vor­lage annehmen, wenn nicht der Ira­no-Amerikan­er, dem der Roman seines guten Fre­un­des Adi­ga sog­ar gewid­met ist?

Eine per­sön­liche Verbindung zum Orig­i­nal­stoff also, die nach der Sich­tung des Films die Ver­mu­tung aufkom­men lässt, sowohl vorteil­haft als auch hin­der­lich gewirkt zu haben.

Der weiße Tiger kannst Du übri­gens auf Deinem Net­flix-Account auch mit Voda­fones GigaTV anschauen.

Adarsh Gourav in Der weiße Tiger

Der Chef und seine Mitar­beit­er: Bal­ram (Adarsh Gourav) hat es trotz schwieriger Umstände sehr weit gebracht — Bild: Netflix/Tejinder Singh Khamkha

Die Handlung von Der weiße Tiger: Vom armen Mann zum reichen Unternehmer

Der mit­tel­lose Bal­ram Hal­wai (Adarsh Gourav) lebt in der indis­chen Mil­lio­nen­metro­pole Ben­galu­ru als Ange­höriger ein­er niederen Kaste. Aus­ges­tat­tet mit Intel­li­genz und Ehrgeiz, aber ohne rosige Zukun­ft­saus­sicht­en, ist er fest entschlossen, sein Schick­sal selb­st in die Hand zu nehmen und das ärm­liche Dasein in seinem Heimat­dorf samt Fam­i­lie hin­ter sich zu lassen.

Eine Chance dafür bietet sich, als er von dem kor­rupten Groß­grundbe­sitzer „Der Storch” (Mahesh Man­jrekar) als Chauf­feur und Diener für dessen Sohn Ashok (Rajkum­mar Rao) angestellt wird und daraufhin nach Neu-Del­hi ziehen darf. Ashok ist ger­ade mit sein­er amerikanis­chen Frau Pinky Madam (Priyan­ka Chopra Jonas) aus den USA in die Haupt­stadt Indi­ens zurück­gekehrt. Bei­de imponieren Bal­ram mit ihrer offe­nen und lib­eralen Art, was ihn aber zugle­ich die ihm bekan­nten alteinge­sesse­nen Struk­turen in Frage stellen lässt. 

Eines Tages kommt es jedoch zu einem tragis­chen Vor­fall, der die Leben aller drei in ihren Grund­festen erschüt­tert und vor allem Bal­rams Welt­bild ins Wanken bringt. So sieht er sich bald gezwun­gen, die Entschei­dung zu tre­f­fen, was ihm wichtiger ist: Loy­al­ität oder Selbsterhaltungstrieb?

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Der weiße Tiger und der unvermeidliche Vergleich: Mehr Slumdog als Millionär

Der Pro­log von Der weiße Tiger ver­rät bere­its, dass es Bal­ram zum gut situ­ierten Grün­der und Besitzer eines Taxi-Unternehmens brin­gen wird. Ein clev­er­er Schachzug, sorgt die klas­sis­che Erfol­gs­geschichte vom Under­dog zum Big Play­er in Fil­men und Serien doch seit jeher für Fasz­i­na­tion. Auch Bal­rams bewegter Werde­gang bildet da keine Ausnahme.

Wie schon im Roman, fungiert der Pro­tag­o­nist als Erzäh­ler sein­er Geschichte, die Regis­seur Bahrani mit einem hohen Maß an Authen­tiz­ität, zynis­chem Witz und viel Gespür für Sit­u­a­tio­nen inszeniert. 

Er zeich­net das Bild eines Lan­des, in dem die Schere zwis­chen Arm und Reich kaum größer sein kön­nte. Eine Welt, in der Kinder aus niederen Kas­ten stun­den­lang Holzkohle zer­hack­en, während sich die Ober­schicht die Hände auf ganz andere Weise schmutzig macht. Es ist ein Ein­blick, dessen schmerzvolle Wirkung ger­ade deshalb so effek­tiv ist, weil Bahrani nicht in über­triebene Sen­ti­men­tal­itäten ver­fällt, stattdessen aber die erschreck­ende Szener­ie mit schwarzem Humor konterkariert.

Adarsh Gourav und Rajkummar Rao in Der weiße Tiger

Wer ist hier der weiße Tiger? Chauf­feur Bal­ram (Adarsh Gourav) und sein Herr Ashok (Rajkum­mar Rao) kön­nten nicht unter­schiedlich­er sein, was schließlich zu Kon­flik­ten führt — Bild: Netflix/Tejinder Singh Khamkha

Hier kristallisiert sich auch der entschei­dende Unter­schied zum the­ma­tisch ver­wandten Oscar-Abräumer Slum­dog Mil­lionär aus dem Jahr 2008 her­aus, mit dem Der weiße Tiger im Vor­feld häu­fig ver­glichen wurde. Während sich Dan­ny Boyles Dra­ma vor allem gegen Ende als mod­ernes Märchen ent­pup­pt, herrscht im Net­flix-Pen­dant ein deut­lich real­is­tis­cher­er Ton. Im Film selb­st wird dies von Bal­ram sog­ar mit einem kleinen iro­nis­chen Wink kommentiert:

Ich war gefan­gen im Hüh­n­erkä­fig. Und glauben Sie nicht eine Sekunde, Sie kön­nten eine Mil­lion Rupi­en in ein­er Gameshow gewin­nen, um zu entkommen.

Ohrfeige statt Faustschlag: Wenn der Mut zur Wucht fehlt

Dass in Der weiße Tiger am Ende der Zynis­mus über den Human­is­mus siegt, deutet sich dementsprechend schon recht früh an. Ab der Hälfte der Laufzeit vol­lzieht der Film näm­lich einen rapi­den Gen­rewech­sel von der schelmis­chen Gesellschaftssatire zum bit­teren Thrillerdrama.

Adarsh Gourav in Der weiße Tiger

Der Bart gepflegt, der Blick entschlossen: Bal­ram (Adarsh Gourav) lässt seine von Armut geprägte Ver­gan­gen­heit in Flam­men aufge­hen — Bild: Netflix/Tejinder Singh Khamkha

Die Bilder wer­den fin­ster­er, die Tonart wird rauer und trotz­dem fehlt es diesem Teil an der let­zten Kon­se­quenz. Und da wären wir bei dem zuvor ange­sproch­enen Prob­lem Bahra­nis: Seine Ver­bun­den­heit zur Roman­vor­lage und der damit verknüpfte Wille zum liebevollen Umgang mit dieser ist zwar in nahezu jed­er Ein­stel­lung des Films zu spüren, lässt den Regis­seur aber auch vor der nöti­gen Härte zurückschrecken.

Fast schon zu brav set­zt er hier The­men wie Mord und Moralver­fall in Szene, als laufe er son­st Gefahr, den renom­mierten Sta­tus des Romans seines Fre­un­des zu gefährden. Die alles zertrüm­mernde geballte Faust, die in diesem Fall ange­bracht gewe­sen wäre, ist lediglich eine flache Hand, die max­i­mal zu ein­er kleinen Ohrfeige fähig ist.

Ein Raubtier ohne Biss und ein Held, der keiner ist

Zudem erscheint auch der 180-Grad-Sinneswan­del Bal­rams etwas zu gewollt. Dessen Trans­for­ma­tion vom dauer­grin­senden Diener voller Demut zum von Wut getriebe­nen Manip­u­la­tor, der jeglich­es Pflicht­ge­fühl abstreift, ist sicher­lich nachvol­lziehbar, kauft man als Zuschauer aber nicht vol­lends ab.

Adarsh Gourav und Priyanka Chopra Jonas in Der weiße Tiger

Ein Gespräch unter Fre­un­den? Bal­ram (Adarsh Gourav) respek­tiert Pinky Madam (Priyan­ka Chopra Jonas), merkt aber bald, dass er sich nur auf sich selb­st ver­lassen kann — Bild: Netflix/Tejinder Singh Khamkha

Das ist jedoch allein dem Drehbuch geschuldet und keines­falls dem grandiosen Haupt­darsteller Adarsh Gourav. Der 26-jährige Inder ist die große Über­raschung des Films und ver­ste­ht es aus­geze­ich­net, Bal­rams Moti­va­tio­nen mimisch nach außen zu tra­gen. Dabei ist er mit großer Spiel­freude am Werk und dürfte so die inof­fizielle Nach­folge früher­er indis­chstäm­miger Jungstars wie Dev Patel (Slum­dog Mil­lionär) und Suraj Shar­ma (Life of Pi) antreten.

Doch auch Gourav muss let­z­tendlich macht­los zuse­hen, dass der drama­tis­che Höhep­unkt in Der weiße Tiger viel zu spät stat­tfind­et, um seine kom­plette Wirkung ent­fal­ten zu kön­nen. Hat sich der Film bis dahin viel Zeit für die Entwick­lung Bal­rams genom­men, spult er die darauf­fol­gen­den Geschehnisse inner­halb weniger Minuten ab. Beson­ders hier wären die Blicke in sein Innen­leben inter­es­sant gewe­sen, wer­den allerd­ings zum Großteil ein­fach übersprungen.

So bleibt Bal­rams Auf­stieg zum erfol­gre­ichen Unternehmer schließlich nichts weit­er als reine Behaup­tung, der die Mach­er lei­der auch nur eine recht sim­ple und unbe­friedi­gende Schlussthese ent­ge­gen­zuset­zen haben. Das wird der wirk­lich starken ersten Hälfte des Werks nicht gerecht, weshalb am Ende das Gefühl zurück­bleibt, dass das Poten­zial dieser Schel­men­para­bel nicht völ­lig aus­geschöpft wurde.

Der Cast von Der weiße Tiger

Ein ungewöhn­lich­es Trio: Ashok (Rajkum­mar Rao) und seine Frau Pinky Madam (Priyan­ka Chopra Jonas) behan­deln Bal­ram (Adarsh Gourav) zwar gut, unter­schätzen aber, zu was ihr Diener wirk­lich fähig ist — Bild: Netflix/Tejinder Singh Khamkha

Im Film ist mehrfach vom titel­geben­den weißen Tiger die Rede, der so beson­ders wie sel­ten ist. Das Net­flix-Dra­ma ist jedoch weniger die filmis­che Vari­ante eines exo­tis­chen und unberechen­baren Raubtieres, son­dern kommt eher wie das zahme Exem­plar in ein­er Zauber­show daher.

Nichts­destotrotz ist Der weiße Tiger ein mehr als solides Dra­ma über falsche Helden und verkehrte Moral, das sich keineswegs vor Fil­men wie Slum­dog Mil­lionär oder Lion – Der lange Weg nach Hause zu ver­steck­en braucht. In die Filmgeschichte wird die Romanadap­tion ver­mut­lich aber auch nicht eingehen.

Wie kam Der weiße Tiger bei Dir an? Hin­ter­lasse uns gerne einen Kom­men­tar mit Dein­er Mei­n­ung zum Film!

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