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Der Leuchtturm: Das Ende und die Bedeutung des Fantasy-Horrors erklärt
Der Fantasy-Horror-Film Der Leuchtturm ist ein schwarz-weißer Strudel aus Paranoia, Wahnsinn, aufgestauter Sexualität und faszinierend-alptraumhaften Bildern. Doch was bedeutet das wilde Treiben eigentlich? Was erleben Robert Pattinson und Willem Dafoe auf der einsamen Insel wirklich? Hier findet ihr die Erklärung zum Ende und den wichtigsten Bedeutungsebenen.
Eine eindeutige Erklärung für Der Leuchtturm zu finden, ist eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Zwischen den Träumen, Visionen und dunklen Geheimnissen der beiden Leuchtturmwärter gibt es zum Schluss gleich mehrere Interpretationsebenen, die mehr oder minder gleichwertig dastehen.
Das liegt nicht nur an den unterschiedlichen Lovecraft’schen, mythologischen und psychologischen Anspielungen, die zu unterschiedlichen metaphorischen Lesarten einladen. Auch die neutrale Erzählweise des Films gegenüber seinen unzuverlässigen, oft selbst verwirrten Figuren erschwert eine klare Einordung der Ereignisse.
Handelt es sich bei dem Leuchtturm um eine uralte Gottheit, die den Menschen langsam aber sicher in den Wahnsinn treibt? Oder ist das alles doch das Produkt zweier alkoholdurchtränkter und isolierter Psychen? Was geht hier nur vor sich? Wir haben versucht, etwas Licht in dieses Gewirr aus Symbolen, Träumen, Halluzinationen und Lügen zu bringen.
Darum geht’s in Der Leuchtturm: Die Handlung
Die beiden Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe) und Ephraim Winslow (Robert Pattinson) landen Mitte des 19. Jahrhunderts auf einer einsame Insel, wo sie sich für eine vierwöchige Schicht um den titelgebenden Signalturm kümmern sollen.
Thomas ist ein alter Seebär, der nach der Verletzung seines Beins schon seit Jahren als Leuchtturmwärter arbeitet. Ephraim fungiert als sein neuer Partner, dessen Vorgänger erst verrückt wurde und dann unter mysteriösen Umständen zu Tode kam.
Bald wird klar, dass Thomas sich als der Boss der ganzen Unternehmung sieht und seinen jüngeren Kollegen den Hauptteil der schweren Arbeit tragen lässt. Er selbst kümmert sich nur des nächtens um die Erhaltung der Turmleuchte. Schnell bauen sich Spannungen zwischen den beiden Männern auf.
Der Leuchtturm: Das ist der große Wendepunkt
Im Zusammenstoß der beiden Egos beginnen die Grenzen zwischen Realität, Wahnsinn, Rausch und Illusion in Der Leuchtturm zunehmend zu verschwimmen. Dabei gibt es sowohl inhaltlich-rationale, psychologische und mythologisch-metaphorische Sichtweisen auf die Ereignisse, die sich nun entfalten.
Der Wendepunkt kommt mit dem sich anbahnenden Sturm und dem Abend, an dem Thomas Ephraim zum ersten Mal zum Trinken überredet. Die beiden verpassen das Schiff, das sie eigentlich von der Insel abholen sollte und eine Stimmung des Exzesses und der Paranoia macht sich breit.
Insbesondere Ephraims Psyche scheint fortan zunehmend angegriffen. Während sich der Alkoholkonsum beider Leuchtturmwärter immer weiter in die Höhe treibt, werden auch die Ereignisse immer surrealer und schwerer nachzuvollziehen. Den Schlusspunkt bildet Ephraims Mord an Thomas und sein Aufstieg zum Leuchtturm.
Doch wie konnte es so weit kommen?
Ephraim Winslow oder Thomas Howard?
Die einfachste Erklärung dafür ist, dass Ephraim schlicht wegen seinem Problem mit Autoritätsfiguren und Schuldgefühlen den Verstand verliert. Im Fall des diktatorischen, stetig vor sich hinfurzenden Thomas Wake, mit dem er mehrere Wochen (oder Monate) allein festsitzt, wäre es ja schon fast verständlich, irgendwann durchzudrehen.
Doch dazu kommt, dass Ephraim schon zuvor mit einem Vorgesetzten verhängnisvoll aneinander geriet. Wie wir nämlich in einer der Suffnächte der beiden erfahren, heißt Ephraim wahrscheinlich gar nicht Ephraim sondern Thomas Howard. Betrunken gesteht er, dass er zuvor als Holzfäller in Neuengland arbeitete und es dort mit seinem Vorarbeiter zum Streit kam: dem echten Ephraim Winslow.
Ob es nun ein Unfall mit unterlassener Hilfeleistung oder doch ein Mord war, bleibt unklar. Fakt aber scheint, dass der echte Ephraim unter schwimmenden Baumstämmen im Fluss ertrank, Thomas seine Identität stahl und unter dem neuen Namen die Flucht ergriff. Doch im Fall eines Unfalls hätte er nicht flüchten müssen.
Versteckt er sich mit dem Job als Leuchtturmwärter also vor der Justiz, wie Thomas Wake vermutet? Dass der ab diesem Zeitpunkt Tommy genannte Leuchtturmwärter seinen Vorgesetzten später ausgerechnet mit einer Axt tötet, ist zumindest auf symbolischer Ebene ein starker Hinweis für die Mordtheorie.
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Thomas Howard: Von Schuldgefühlen in den Wahnsinn?
Es scheint immerhin klar, dass Tommy nicht nur symptomatisch ein Problem mit Autoritätsfiguren zu haben scheint, sondern auch, dass er vom Tod des echten Ephraims verfolgt wird. So sehen wir in mehreren seiner Visionen einen Mann mit hellen Haaren, der entweder vor einem Gewässer kniet oder in diesem treibt.
Mit dem Wissen um Tommys Vergangenheit können wir in diesem Mann unschwer den echten Ephraim Winslow vermuten. Dazu passt auch eine recht frühe Szene, in der er träumt, unter Holzstämmen zu ertrinken. Das sind klare Indizien darauf, dass Ephraims Tod, wie auch immer er zustande kam, auf Tommys Seele lastet.
So könnte also eine Interpretation der Ereignisse lauten, dass Howards sowieso schon anti-autoritäre Einstellung im Zusammenspiel mit seinen Schuldgefühlen und dem herrschsüchtigen Auftreten Wakes ihn endgültig an den Gipfel des Wahnsinns drängen.
Treibt Wake seinen Kollegen in den Wahnsinn?
Eine weitere Möglichkeit, für die es fast ebenso viele Hinweise gibt, ist, dass der alte Leuchtturmwärter Wake seinen jüngeren Partner mit Absicht in den Wahnsinn treibt. Schließlich soll schon sein letzter Untergebener verrückt geworden sein und Selbstmord begangen haben.
Zweifel am Freitod seines Vorgängers werden nicht nur bei Tommy geweckt, als dieser einen abgetrennten Kopf in einem Fischernetz findet. Ist das etwa sein Vorgänger? Und hat Wake ihn ermordet? Dies würde Tommy zum ungeliebten Zeugen seines Verbrechens machen.
Wake ist es auch, der Tommy am Tag vor der eigentlichen Abreise geradezu dazu zwingt, sich maßlos zu betrinken. Ein Trick, um das Schiff zu verpassen? Versucht er zu verhindern, dass der junge Mann von der Insel entkommt und der Polizei von seinem Fund erzählt? Oder passt es ihm einfach nicht, dass Tommy sich nicht an seine Regeln halten will?
Zeit, Paranoia und Realität
Ab diesem Zeitpunkt scheint es zumindest, als ob Wake versucht, bei seinem Untergebenen Zweifel an seinem eigenem Verstand, der Realität, ja sogar der Zeit an sich hervorzurufen. So versucht er ihn mit Fragen wie „Wie lang sind wir schon auf diesem Felsen? Fünf Wochen? zwei Tage?” aus der Bahn zu werfen.
Das Gefühl von Zeit geht nicht nur für Howard, sondern auch für den Zuschauer langsam aber sicher verloren. Das gleiche gilt auch für die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen Paranoia und Realität.
So zerstört Wake in einer Szene das Rettungsboot und damit die letzte Möglichkeit, selbstständig von der Insel zu fliehen. Doch kurz darauf behauptet er schon, dass es Tommy gewesen wäre, der wie verrückt mit der Axt auf das Boot losgegangen wäre. Den Bildern ist nicht mehr zu trauen.
Welche Version des Geschehens hier wirklich stimmt, lässt sich nicht beweisen. Man kann sich des Eindrucks aber nicht erwehren, dass Wake seinen Untergebenen hier systematisch an sich selbst zweifeln lässt, seine Paranoia fördert und ein krankes Spiel mit Tommys Psyche veranstaltet.
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Was bedeutet die Homoerotik in Der Leuchtturm?
Eine weitere Erklärung für die eskalierende psychische und körperliche Gewalt in Der Leuchtturm ist die stets präsente, homoerotische Spannung zwischen den beiden Protagonisten.
Wake zwingt Tommy von Anfang an in eine untergeordnete Rolle und lässt ihn sämtliche zu dieser Zeit feminin angesehenen, häuslichen Aufgaben erledigen. Wie sehr das diesen erniedrigt, zeigt sich, als der junge Mann wütend aufbegehrt und sagt, dass er nie eingewilligt hat, jemandes Frau zu spielen.
Das interessiert Wake nur wenig und er geht sogar so weit, Tommy den Leuchtturm weiß anstreichen zu lassen. Deutlicher geht das in der Symbolik kaum. Wie Robert Pattinson gegenüber der Huffington Post verriet, wurde der Leuchtturm schon im Drehbuch mit einem erigierten Penis verglichen.
Könnte dies alles noch auf ein Machtspiel der Unterwerfung zurückzuführen sein, sind die homoerotischen Konnotationen in einigen Szenen klar sichtbar. Bei dem Blick durch das löchrige Dach auf den masturbierenden Wake, betrunkenen Umarmungen und sich nähernden Gesichtern wird die Beziehung der beiden in ein anderes Licht gerückt.
Sexualität, Unterwerfung und Gewalt
Fühlen sich die beiden also zueinander hingezogen? So leicht ist das nicht zu sagen, jedoch entsteht der Eindruck, dass Wake sehr viel offener mit seinen Begierden umgeht, vielleicht sogar den verschlossen wirkenden Tommy dahingehend manipuliert.
So drängt er den Jüngeren nicht nur in eine feminine Rolle, sondern könnte auch durch seine psychologischen Spielchen und Alkohol beabsichtigen, ihn willenlos und sich gefügig zu machen. In einer Szene, in der sich die beiden im Rausch besonders nah zu kommen scheinen, wirft Tommy ihm sogar fast schon hilflos vor: „Ich weiß, was du vorhast.”
Diese Gefühle der Manipulation, Verwirrung und angestauten sexuellen Begierden könnten eine zentrale Rolle dabei spielen, dass sich Tommys wachsende Wut in Paranoia und Wahnsinn entlädt.
Auf metaphorischer Ebene steht die Sexualität und der Konflikt der beiden Männer auch als Sinnbild für falschverstandene Männlichkeit, Revierverhalten und die Folgen unterdrückter Impulse, die beide Männer auf ihre Weise zum Äußersten treiben.
Sind Thomas Wake und Thomas Howard dieselbe Person?
Hierbei stellt sich auch die Frage, ob es sich bei den beiden Leuchtturmwärtern am Ende um ein und dieselbe Person handelt. Schon die Namensgleichheit der Männer deutet auf diese Interpretationsweise hin.
Dafür spricht außerdem, dass Howard sich in einer Szene auf dem Leuchtturm von einer Sekunde auf die andere nicht mehr dem alten Mann, sondern seinem Ebenbild gegenübersieht. Eine Sinnestäuschung? Oder doch ein Fingerzeig darauf, dass die beiden Protagonisten in Wirklichkeit zwei Seiten derselben Persönlichkeit darstellen?
Nach dieser Interpretation geht es in Der Leuchtturm also um den inneren Widerstreit eines zerrissenen Geistes. Der alte Wake, als Symbol für den triebgesteuerten, ungehemmten Teil der Psyche. Howard als der Teil, der sich mit aller Kraft an die Normen der Gesellschaft klammert und gegen seine Instinkte ankämpft.
Die mythologische Bedeutung: Prometheus
Damit erschöpft sich der Bedeutungsgehalt von Der Leuchtturm aber noch lange nicht. Wie Regisseur Robert Eggers unter anderem im Interview mit Vox verriet, gibt es auch eine mythologische Bedeutungsebene in seinem Film. Demnach steht Howard für Prometheus.
Wer sich mit der griechischen Mythologie auskennt, dürfte den Prometheus-Verweis erkannt haben. In der Sage bringt der Titan den Menschen das Feuer. Die Strafe von Göttervater Zeus? Prometheus wird auf einen Felsen gefesselt, wo ihm ein Adler immer wieder die Leber aus dem Körper frisst.
Diese Geschichte erinnert stark an das letzte Bild von Der Leuchtturm, als Tommy nach seinem Treppensturz mit zerschlagenen Körper auf den Felsen der Insel liegt, wo ihm Möwen seine Eingeweide herauspicken.
Wake als Meeresgott Proteus
Nicht nur Howard hat laut Eggers ein mythologisches Pendant. So soll Wake für den Meeresgott Proteus stehen. Dieser tritt unter anderem in Homers Odyssee auf und zeichnet sich durch hohes Alter und prophetisches Wissen aus, das er aber nur sehr ungern teilt.
Schon hier fallen die Parallelen zu Wake auf. Auch der erfahrene Leuchtturmwärter hat schon einige Jahre auf dem Buckel und scheint stets mehr zu wissen, als sein jüngerer Kollege. Den eigentlichen Kern des Jobs – nämlich das Instandhalten des Leuchturms und das Hüten des Signallichts – behält er aber geizig für sich.
Hinzu kommt, dass Proteus ein Gestaltwandler ist. Aus dieser Sicht betrachtet, könnte Wakes Verwandlung in ein tentakelschwingendes Monster doch mehr als nur eine Wahnvorstellung von Howard sein.
Außerdem ist Proteus als Gott des Meeres auch ein Beschützer der Seelebewesen. Hat Tommy mit der Tötung einer verhassten Möwe nicht nur gegen eine von Wakes tausenden Regeln verstoßen, sondern wahrhaftig den Zorn Proteus’ erregt?
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Die Bedeutung des Endes und des Lichts im Leuchtturm
Am Ende des Films tötet Tommy den alten Wake und steigt endlich zum Licht des Leuchtturms hinauf. Was er dort sieht, bleibt uns verborgen, doch können wir in seinem grell beleuchteten Gesicht sowohl Ekstase, Befreiung, Euphorie und Schrecken sehen. Anschließend stürzt er rückwärts von der Leiter und die Treppe hinunter.
Doch wie kann man dieses Ende deuten? Welche Bedeutung hat das Licht des Leuchtturms?
In der Bedeutungsgeschichte der Prometheus-Sage wird das von den Göttern gestohlene Feuer meist mit dem Wissen von der Welt und der Emanzipation von den Göttern gleichgesetzt. Wie wir zuvor schon festgestellt haben, hütet auch „Proteus” Wake das Licht des Leuchtturms wie seinen Augapfel und will – wie die Götter des Olypms – sein Wissen nicht mit Tommy teilen.
So gesehen könnte die Signalleuchte eine Prometheus-Metapher sein und ebenso wie das Feuer für das unbekannte Wissen stehen, das den Menschen eigentlich nicht zugänglich ist. Doch als Tommy das Licht und das Wissen endlich zu Gesicht bekommt, scheint es zu viel für ihn zu sein.
Deswegen folgt auf das plötzliche erhellende Hochgefühl auch der Schrecken und die Überlastung der Sinne, die ihn schlussendlich ganz tief fallen lässt.
Die Lovecraft’sche Interpretation: Ist der Leuchturm ein alter Gott?
Amphibienartige Meerjungfrauen, Meeresgötter, ein wirres Logbuch und ein stetiger Abstieg in den Wahnsinn vor einem Bauwerk, das gefühlt schon seit Jahrzehnten den Naturgewalten trotzt: Die Handschrift des Horror-Meisters H.P. Lovecraft ist in Der Leuchtturm an jeder Ecke zu entdecken.
Schon Howard, der Nachname von Tommy, ist ein Verweis auf Lovecraft. Dieser hieß schließlich nicht nur selbst mit Vorname Howard, auch sein berühmter Brieffreund war namentlich Conan-Erfinder Robert E. Howard.
So kann die Handlung des ungewöhnlichen Horror-Films auch einer Lovecraft’schen Interpretation unterzogen werden. Demnach wäre der Leuchtturm von übernatürlicher Macht oder gar eine finstere Gottheit selbst, wie sie bei Lovecraft unter dem Namen der „Alten” immer wieder auftauchen.
Sein sinisterer, andersweltlicher Einfluss lässt die Menschen in seiner Umgebung dem Wahnsinn anheimfallen. In dieser Sichtweise wäre der alte Wake einer seiner Jünger, der ihn anbetet und neue Opfer zutreibt. Wenn man Wakes schleimige Verwandlung gegen Ende des Films bedenkt, könnte er sogar selbst eine übernatürliche Kreatur oder uralte Gottheit sein, die Tommy in den Abgrund zieht.
Doch wie jeder dieser Erklärungsversuche für Der Leuchtturm steht auch dieser keineswegs über den anderen Bedeutungsebenen. Sie alle sind sich in gewissem Maße ebenbürtig und überlassen es dem Zuschauer, welche er bevorzugt. Aber genau diese Suche nach den Antworten macht den Film auch so einzigartig. Und vielleicht auch so verstörend…