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Titane in der featured-Filmkritik: Titanplatte im Kopf und einen Sprung in der Schüssel
Der Identitäts-Thriller mit Horroreinschlag „Titane“ gewann in Cannes die Goldene Palme als bester Spielfilm. Ob uns der Film auch so beeindruckt hat wie die Jury, verraten wir Dir in der featured-Filmkritik.
Alexia (Agathe Rousselle) trägt nach einem schweren Autounfall in ihrer Kindheit eine Titanplatte in ihrem Kopf. Durch diesen Vorfall geprägt, hat sie ein gestörtes Verhältnis zu Menschen und ein noch gestörteres zu anorganischen Dingen wie Autos. Nur ihnen kommt sie richtig nah. Personen lässt sie allerdings nicht an sich ran. Sobald ein:e Verehrer:in ihr zu sehr zu Leibe rückt, setzt sie sich zur Wehr. Mit tödlichem Ausgang. Infolgedessen muss die junge Frau untertauchen und nimmt die Identität eines als Kind verschwundenen jungen Mannes namens Adrien an. Dessen Vater Vincent (Vincent Lindon), der nie die Suche nach seinem verlorenen Sohn aufgegeben hat, nimmt Alexia bei sich auf. Doch ihre Begegnung hat folgenschwere Konsequenzen.
Titane: Von Beginn an verwirrend
Julia Ducournau, die bei Titane sowohl die Regie übernommen als auch das Drehbuch geschrieben hat, sorgte bereits mit ihrem ersten Film „Raw“ für ordentlich Wirbel. Der Film aus dem Jahr 2017 hat Zuschauende aufgrund der sehr bildhaften Darstellung von Kannibalismus-Szenen aus den Kinosälen gejagt. Titane geht nicht so weit, wenn auch die Story fast genauso verstörend ist wie die des Vorgängers. Ducournau hält sich nicht lange mit den Geschehnissen in Alexias Kindheit auf, sondern spult rasch um zahlreiche Jahre vor. Alexias Auftritt als Erotiktänzerin bei einer Autoshow lässt beim Kinopublikum die ersten Fragezeichen aufkommen: Warum macht sie diesen Job? Warum müssen wir uns das in einer endlos zähen Szene anschauen und wohin führt die Geschichte?
Auf der Suche nach Sinn im Wahnsinn
Wenig später, nachdem Alexia zum ersten Mal tötet, beginnen wir zu verstehen, was in ihrem Kopf vor sich geht. Zumindest so lange, bis Alexia Sex hat. Mit einem Auto. Nicht in einem, mit einem. Spätestens hier ist klar, dass Julia Ducournau mit unseren Erwartungen spielt. Sie stellt uns vor die Wahl: Entweder versuchen im gerade Gesehenen Sinn zu finden, oder einfach beobachten, was als nächstes passiert. Spoiler: Mit Option eins wirst Du nicht glücklich werden. Denn was während des restlichen Films folgt, entzieht sich jeder Logik. Alexia flieht und schlüpft in eine neue Rolle: In die von Adrien, dem verlorenen geglaubten Sohn. Sein Vater Vincent nimmt sie, trotz allen Zweifeln bei sich auf. Es entsteht eine Beziehung, die nur sehr schwer nachvollziehbar ist – nicht nur für die Zuschauer:innen.
Genderfluidität als wichtigstes Element
Das liegt vor allem daran, dass Alexia mit voranschreitender Zeit nur noch schwer verbergen kann, dass sie eine Frau ist. Sie ist schwanger – wir verraten nicht von wem oder was – und ihr Bauch wächst rasant. Ihre Verwandlung von Alexia zu Adrien ist hart, gebrochene Nase, radikaler Haarschnitt und viel Verbandsmaterial inklusive. Dabei findet die Transformation nicht nur rein äußerlich statt. War Alexia zu Beginn sehr burschikos, verändert sich ihr Charakter im Laufe des Films in eine recht unerwartete Richtung. Titane spielt mit Wahrnehmung und Rollenbildern. Eingefangen in Szenen, die die Grenzen der Absurdität ausreizen. Beispielsweise wenn Alexia in ihrer Darbietung als Adrien vor versammelter Mannschaft – Adriens Vater Vincent ist Kommandeur einer Feuerwehreinheit – auf einem Feuerwehrauto tanz und sich mehr und mehr lasziven Posen hingibt. Dort bricht der Film mit sämtlichen Geschlechterklischees und lässt Potenzial aufblitzen.
Unser Fazit: Wenn der WTF-Effekt verpufft
Immer dann, wenn es um die Frage nach Identität und Sehnsüchte geht, ist Titane wirklich stark. Leider verebben diese Szenen zu schnell und gehen in absurde Momente über, die uns den ein oder anderen unabsichtlichen Lacher entlockt haben. Geschlechtsverkehr mit Fahrzeugen klingen erstmal aufregend und absurd, wirken aber oftmals deplatziert. Sie lenken zu sehr von Alexia als starken Charakter und ihrer Verwandlung ab. Kopfkratzmomente wechseln sich ab mit schräger Langeweile, weil Motive und Hintergründe oftmals unklar bleiben. Diese Szenen überschreiben leider die eigentlich spannende Loslösung von Geschlechterrollen. Somit verliert sich Titane zu sehr in der Absurdität, die bei uns zu viele unbefriedigende Fragezeichen hinterlässt.
Titane
Genre: | Horror / Thriller / Drama |
Bundesstart: | 7. Oktober |
Laufzeit: | 108 Minuten |
FSK: | FSK: ab 16 Jahren freigegeben |
Regie: | Julia Ducournau |
Drehbuch: | Julia Ducournau |
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