Alexia aus Titane vor dem Feuer
© 2021 Koch Films
Bild aus Der Herr der Ringe: Die Schlacht der Rohirrim
Plakat zum Musical-Film Wicked

Titane in der featured-Filmkritik: Titanplatte im Kopf und einen Sprung in der Schüssel

Der Iden­titäts-Thriller mit Hor­ror­ein­schlag „Titane“ gewann in Cannes die Gold­ene Palme als bester Spielfilm. Ob uns der Film auch so beein­druckt hat wie die Jury, ver­rat­en wir Dir in der featured-Filmkritik.

Alex­ia (Agathe Rous­selle) trägt nach einem schw­eren Autoun­fall in ihrer Kind­heit eine Titan­plat­te in ihrem Kopf. Durch diesen Vor­fall geprägt, hat sie ein gestörtes Ver­hält­nis zu Men­schen und ein noch gestörteres zu anor­gan­is­chen Din­gen wie Autos. Nur ihnen kommt sie richtig nah. Per­so­n­en lässt sie allerd­ings nicht an sich ran. Sobald ein:e Verehrer:in ihr zu sehr zu Leibe rückt, set­zt sie sich zur Wehr. Mit tödlichem Aus­gang. Infolgedessen muss die junge Frau unter­tauchen und nimmt die Iden­tität eines als Kind ver­schwun­de­nen jun­gen Mannes namens Adrien an. Dessen Vater Vin­cent (Vin­cent Lin­don), der nie die Suche nach seinem ver­lore­nen Sohn aufgegeben hat, nimmt Alex­ia bei sich auf. Doch ihre Begeg­nung hat fol­gen­schwere Konsequenzen.

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Titane: Von Beginn an verwirrend

Julia Ducour­nau, die bei Titane sowohl die Regie über­nom­men als auch das Drehbuch geschrieben hat, sorgte bere­its mit ihrem ersten Film „Raw“ für ordentlich Wirbel. Der Film aus dem Jahr 2017 hat Zuschauende auf­grund der sehr bild­haften Darstel­lung von Kan­ni­bal­is­mus-Szenen aus den Kinosälen gejagt. Titane geht nicht so weit, wenn auch die Sto­ry fast genau­so ver­störend ist wie die des Vorgängers. Ducour­nau hält sich nicht lange mit den Geschehnis­sen in Alex­i­as Kind­heit auf, son­dern spult rasch um zahlre­iche Jahre vor. Alex­i­as Auftritt als Erotik­tänz­erin bei ein­er Autoshow lässt beim Kinop­ub­likum die ersten Frageze­ichen aufkom­men: Warum macht sie diesen Job? Warum müssen wir uns das in ein­er end­los zähen Szene anschauen und wohin führt die Geschichte?

Auf der Suche nach Sinn im Wahnsinn

Wenig später, nach­dem Alex­ia zum ersten Mal tötet, begin­nen wir zu ver­ste­hen, was in ihrem Kopf vor sich geht. Zumin­d­est so lange, bis Alex­ia Sex hat. Mit einem Auto. Nicht in einem, mit einem. Spätestens hier ist klar, dass Julia Ducour­nau mit unseren Erwartun­gen spielt. Sie stellt uns vor die Wahl: Entwed­er ver­suchen im ger­ade Gese­henen Sinn zu find­en, oder ein­fach beobacht­en, was als näch­stes passiert. Spoil­er: Mit Option eins wirst Du nicht glück­lich wer­den. Denn was während des restlichen Films fol­gt, entzieht sich jed­er Logik. Alex­ia flieht und schlüpft in eine neue Rolle: In die von Adrien, dem ver­lore­nen geglaubten Sohn. Sein Vater Vin­cent nimmt sie, trotz allen Zweifeln bei sich auf. Es entste­ht eine Beziehung, die nur sehr schw­er nachvol­lziehbar ist – nicht nur für die Zuschauer:innen.

Titane Vincent Lindon auf den Knien

Vin­cent (Vin­cent Lin­don) hat seinen ver­mis­sten Sohn Adrien nie aufgegeben. — Bild: ©2021 Koch Films

Genderfluidität als wichtigstes Element

Das liegt vor allem daran, dass Alex­ia mit voran­schre­i­t­en­der Zeit nur noch schw­er ver­ber­gen kann, dass sie eine Frau ist. Sie ist schwanger – wir ver­rat­en nicht von wem oder was – und ihr Bauch wächst ras­ant. Ihre Ver­wand­lung von Alex­ia zu Adrien ist hart, gebroch­ene Nase, radikaler Haarschnitt und viel Ver­bands­ma­te­r­i­al inklu­sive. Dabei find­et die Trans­for­ma­tion nicht nur rein äußer­lich statt. War Alex­ia zu Beginn sehr burschikos, verän­dert sich ihr Charak­ter im Laufe des Films in eine recht uner­wartete Rich­tung. Titane spielt mit Wahrnehmung und Rol­len­bildern. Einge­fan­gen in Szenen, die die Gren­zen der Absur­dität aus­reizen. Beispiel­sweise wenn Alex­ia in ihrer Dar­bi­etung als Adrien vor ver­sam­melter Mannschaft – Adriens Vater Vin­cent ist Kom­man­deur ein­er Feuer­wehrein­heit – auf einem Feuer­wehrauto tanz und sich mehr und mehr lasziv­en Posen hin­gibt. Dort bricht der Film mit sämtlichen Geschlechterk­lis­chees und lässt Poten­zial aufblitzen.

Titane Alexia von hinten

Die Französin Agathe Rous­selle zählt zu den New­com­ern in der Schaus­piel­branche. — Bild: ©2021 Koch Films

Unser Fazit: Wenn der WTF-Effekt verpufft

Immer dann, wenn es um die Frage nach Iden­tität und Sehn­süchte geht, ist Titane wirk­lich stark. Lei­der verebben diese Szenen zu schnell und gehen in absurde Momente über, die uns den ein oder anderen unab­sichtlichen Lach­er ent­lockt haben. Geschlechtsverkehr mit Fahrzeu­gen klin­gen erst­mal aufre­gend und absurd, wirken aber oft­mals deplatziert. Sie lenken zu sehr von Alex­ia als starken Charak­ter und ihrer Ver­wand­lung ab. Kopfkratz­mo­mente wech­seln sich ab mit schräger Langeweile, weil Motive und Hin­ter­gründe oft­mals unklar bleiben. Diese Szenen über­schreiben lei­der die eigentlich span­nende Loslö­sung von Geschlechter­rollen. Somit ver­liert sich Titane zu sehr in der Absur­dität, die bei uns zu viele unbe­friedi­gende Frageze­ichen hinterlässt.

Titane

Genre: Hor­ror / Thriller / Drama
Bun­desstart: 7. Okto­ber
Laufzeit: 108 Minuten
FSK: FSK: ab 16 Jahren freigegeben
Regie: Julia Ducour­nau
Drehbuch: Julia Ducour­nau

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