LGBT-Influencerin Jolina Mennen im Interview.
Eine Frau wirft eine Flasche in den smarten Mülleimer Trashbot
Das Cockpit eines Teslas
:

LGBT-Influencerin Jolina Mennen im Interview: „Die einzige Entscheidung, die ich getroffen habe, ist, zu mir selbst zu stehen“

Joli­na Men­nen ist 26 Jahre alt, Youtu­berin und hat sich 2014 bei ihrer Fam­i­lie und Fre­un­den als trans­sex­uell geoutet. Seit 2013 ist sie mit Flo­ri­an Men­nen ver­heiratet und im Sep­tem­ber 2019 wird es nach ihrer Tran­si­tion eine zweite Hochzeit in Weiß geben. Wir haben mit Joli­na unter anderem über ihr Com­ing Out gesprochen und wie Social Media LGBTs unter­stützt.

Wie hat sich das Outing angefühlt? Welche Reaktionen gab es in Deinem Umfeld?

Das erste Out­ing hat­te ich mit zwei mein­er besten Fre­undin­nen. Mir selb­st war das schon ganz lange Zeit klar, aber ich hat­te nicht den Mut, es öffentlich zu the­ma­tisieren. Dementsprechend hat das alles ein biss­chen gedauert. Irgend­wann war es dann doch so weit, dass ich es ein­fach sagen musste, weil ich gemerkt habe, mein Lei­dens­druck ist zu hoch. Im Jan­u­ar 2014 habe ich es meinen Fre­undin­nen erzählt und am näch­sten Tag direkt meinem Mann. Wir haben bis zu diesem Zeit­punkt zwar in ein­er homo­sex­uellen Beziehung gelebt, aber rück­blick­end gab es schon Anze­ichen dafür.

Es wirk­lich mal laut aus­ge­sprochen zu hören, war natür­lich auch für meinen Mann nicht wirk­lich leicht. Aber wir hat­ten dann ein sehr langes und inten­sives Gespräch, was auch sehr emo­tion­al ver­laufen ist – von bei­den Seit­en aus. Uns war klar, dass wir uns nicht ver­sprechen kön­nen, dass die Beziehung langfristig hal­ten wird. Aber wir haben uns ver­sprochen, dass wir immer ehrlich sein wer­den, egal wie doll das in dem Moment vielle­icht weh tut. So weiß der oder die andere aber immer, woran er oder sie ger­ade ist. Bis heute hat es so gut funk­tion­iert.

Und das scheint auch zu funktionieren, denn jetzt habt Ihr Euch auch ein zweites Mal verlobt.

Ich bereue nichts aus mein­er Ver­gan­gen­heit. Klar, kann man immer sagen: ‚Ich wün­schte, ich hätte meine Tran­si­tion eher ange­fan­gen.‘ Aber Fakt ist nun mal, man kann es nicht rück­gängig machen oder irgend­was in der Ver­gan­gen­heit nach­holen. Das Einzige, was mit weh tut, ist, mir die ersten Hochzeits­fo­tos anzuguck­en. Die Hochzeit ist für uns wie ein Siegel auf unser­er Liebe. Das aber immer noch in diesem masku­li­nen Kon­text für mich zu sehen, tut mir weh.

Deswe­gen habe ich immer wieder gesagt, dass ich eigentlich gerne nochmal in Weiß heirat­en würde. Ich möchte diesen Moment wirk­lich erleben, im weißen Kleid an mein­er Fam­i­lie und meinen Fre­un­den vor­beilaufen, auch mit meinem Mann, so wie es sich eigentlich richtig anfühlt. Mein Mann meinte, dass er sich das auch vorstellen kann und dann hat er mir let­ztes Jahr im Sep­tem­ber zum zweit­en Mal einen Antrag gemacht.

Wie hat Deine Familie auf Dein Outing reagiert?

Sehr pos­i­tiv, muss ich sagen. Meine Mama, mein Brud­er, mein Onkel waren alle sehr ver­ständ­nisvoll. Meine Großel­tern haben sich am Anfang ein biss­chen schw­er­ge­tan, weil es für sie schw­er war, dieses ‚Konzept‘ zu ver­ste­hen. Für sie war am Anfang nicht klar, warum oder was das heißt und dass es eigentlich keine Entschei­dung ist, die ich tre­ffe. Man kann sich nicht aus­suchen, trans zu sein. Die einzige Entschei­dung, die ich getrof­fen habe, ist, zu mir selb­st zu ste­hen. Und das hat am Anfang gedauert, bis sie das auch wirk­lich ver­ste­hen und verin­ner­lichen kon­nten. Aber seit­dem habe ich auch von mein­er Fam­i­lie kom­plet­ten Rück­halt.

Hattest Du diesen Rückhalt auch schon, als Du Dich als homosexuell geoutet hast?

Mein erstes Out­ing war 2008, 2009. Am Anfang war das mit der Reak­tion meines Umfeldes für mich schwieriger als das zweite Out­ing. Das zweite Out­ing hat­te zwar mehr Kon­se­quen­zen, aber das kon­nten meine Fam­i­lie und mein Onkel bess­er aufnehmen. Weil sie wirk­lich ver­standen und real­isiert haben: ‚Okay, das ist wirk­lich sie, das ist Joli­na.‘ Irgend­wie hat auf ein­mal alles Sinn gemacht. Als ob sich das let­zte Puz­zlestück ein­fügt.

Mit Deinem Outing als Transgender bist Du mehr Du selbst geworden. Wie fühlt sich die Veränderung im Alltag und auch auf Deinem Youtube-Kanal an?

Ich habe das Gefühl, ich bin ehrlich­er und authen­tis­ch­er mit meinen Zuschauern als vorher. Mir war die Tat­sache, dass ich trans bin natür­lich schon bewusst, aber ich habe es halt nicht kom­mu­niziert. Ich habe nach außen hin pro­biert, das Leben eines schwulen Mannes zu verkör­pern. Das war nicht wirk­lich ehrlich und ich habe jet­zt das Gefühl, dass die Leute wirk­lich hun­dert Prozent Joli­na sehen und nicht nur eine insze­nierte Rolle, die ich vor der Kam­era ein­nehme. Jet­zt ken­nt mich meine Com­mu­ni­ty wirk­lich. Da bin ich sehr stolz drauf, dass ich alles so unverblümt mit ihnen teilen kann.

Wie waren die Reaktionen?

Sehr gut. Am Anfang kamen natür­lich ein paar Ver­ständ­nis­fra­gen, weil ich vor meinem Out­ing nie Stel­lung dazu bezo­gen habe und auf ein­mal war es da. Für die Leute wirkt es in dem Moment sehr plöt­zlich, von heute auf mor­gen. Als ich mich öffentlich geoutet habe, lief meine Hor­mon­ther­a­pie schon ein halbes Jahr und ich war schon anderthalb Jahre in Ther­a­pie. Das war alles mit sehr viel Vorar­beit ver­bun­den. Denn man kann in Deutsch­land nicht von heute auf mor­gen sagen: ‚Ich bin trans und jet­zt möchte ich bitte starten.‘ So ein­fach geht das lei­der nicht.

Hatte denn schon vorher jemand in der Community etwas bemerkt?

Es kamen immer mal wieder Fra­gen. Aber da ich auf meinem Kanal einen Schw­er­punkt auf Make-up geset­zt habe, haben die Leute halt eher ver­mutet: ‚Irgend­wie schminkst Du dich anders als son­st, irgend­wie strahlst Du mehr.‘ Weil ich eben mehr bei mir angekom­men war.

Du bist immer viel unterwegs durch Deinen Job und das Studium. Wie reagiert man in anderen Kulturen und Ländern auf Dich?

Ich war für mein Aus­landsse­mes­ter in Lon­don und habe nie­man­dem erzählt, dass ich trans­sex­uell bin. Son­dern ich bin ein­fach als Frau durch die Uni gegan­gen. Es hat nie­mand was gemerkt, ich wurde nie darauf ange­sprochen und es hat auch nie komis­che Blicke gegeben. Erst drei Monate später habe ich es ein­er Fre­undin erzählt und der ist alles aus dem Gesicht gefall­en. Weil sie meinte, meine Stimme sei zwar etwas tiefer, aber wenn man es nicht wüsste, stellte man es auch nicht in Frage.

Das war für mich das erste Mal, dass ich diese Erfahrung über­haupt machen kon­nte. Denn da ich durch meine Videos in der Öffentlichkeit ste­he, muss ich unter­be­wusst immer davon aus­ge­hen, dass mich Leute erken­nen. Das ist zwis­chen­durch vielle­icht ein blödes Gefühl, aber das gehört dazu. Anson­sten, was das Reisen ange­ht: Ich war über Sil­vester in New York. Da kam auch gar nichts zur Sprache, aber es ste­ht mir auch nicht auf die Stirn tätowiert. Wo man natür­lich ein biss­chen auf­passen müsste, ist, wenn man in Län­der reist, wo das Ganze eben ver­boten ist oder es Anti-LGBT-Geset­ze gibt. Tat­säch­lich werde ich das Ende des Jahres zum ersten Mal machen. Wir fliegen nach Afri­ka, da bin ich ges­pan­nt.

Hat sich das Internet Deiner Meinung nach auf die gesellschaftliche Akzeptanz von LGBTs positiv ausgewirkt?

Ich glaube, es sind nicht nur die sozialen Medi­en, son­dern generell Medi­en. Zum Beispiel in Serien, in Spielfil­men oder auch auf Youtube, die diese ganze The­matik ent­tabuisieren. Es gibt dort viel mehr Berührungspunk­te, auch für het­ero­sex­uelle Men­schen, dass man sieht, es wird langsam zur Nor­mal­ität. Ich finde, die Gen­er­a­tion der 20- bis 30-Jähri­gen ist unge­fähr an einem Punkt in ihrem Leben, wo sie sich selb­st gefun­den haben. Und wenn man sich selb­st gefun­den hat, ist das Glück eines anderen – egal wie das aussieht – für einen selb­st nicht mehr so rel­e­vant.

Wohinge­gen man sich als Tee­nie von ein­er anderen Lebens- oder Liebesgestal­tung eventuell noch zu sehr bee­in­flussen lässt. Ich glaube, daher kommt von manchen Tee­nies dieser Hass im Netz, weil sie verun­sichert sind, wohin sie in dieser Welt gehören.

Wie gehst Du mit dem Hass um?

Es kommt immer auf meine Tages­form an. Ich muss sagen, an manchen Tagen trifft es mich mehr. Aber am schlimm­sten ist nicht der Hass, der gegen mich gerichtet ist, son­dern am meis­ten stört mich Hate, der gegen unsere Beziehung geht. Zum Beispiel Kom­mentare wie: „Dein Mann wird immer schwul bleiben und es ist nur eine Frage der Zeit bis er Dich betrügt oder ver­lässt.“

Was die Zuschauer vergessen: Auch wenn ich viel teile, ich teile nun mal nicht alles. Ich komme zum Beispiel jet­zt ger­ade aus der Dusche und sitze hier im Bade­man­tel und meinen Puschen auf dem Sofa. Und das sehen meine Zuschauer zum Beispiel nicht. Oder auch wenn ich mich mit mein­er besten Fre­undin stre­ite, dann sehen sie das auch nicht. Es sind so viele Facetten, die zu mir und mein­er Per­son gehören, von denen die ein­fach gar nichts wis­sen. Das ist natür­lich kein Vor­wurf, das ist auch meine Entschei­dung, das nicht zu teilen. Was man aber nicht vergessen sollte: Alles, was man teilt, wird auch von der Öffentlichkeit beurteilt und in manchen Hin­sicht­en möchte man auch ein­fach nicht beurteilt wer­den.

Woran könnte man noch arbeiten, um Menschen für LGBT-Themen zu sensibilisieren?

Ich finde, Aufk­lärungsar­beit ist ein zweis­chnei­di­ges Schw­ert: Dadurch, dass man Aufk­lärungsar­beit betreibt, zeigt man, das ist nicht nor­mal, es muss aufgek­lärt wer­den. Wenn man es aber ein­fach als Nor­mal­ität akzep­tiert, dann muss man es Leuten nicht scho­nend beib­rin­gen oder erk­lären. Denn es ist ja nor­mal. Es wird ja umgekehrt auch nicht großar­tig erk­lärt, wie eine het­ero­sex­uelle Beziehung funk­tion­iert oder wie es sich anfühlt, sich mit seinem biol­o­gis­chen Geschlecht zu iden­ti­fizieren. Das ist für ganz viele Leute ein­fach Stan­dard.

Hätte man mir noch vor fünf Jahren gesagt: ‚Fühl Dich doch ein­fach wohl mit dem Kör­p­er, den Du bekom­men hast‘, dann hätte ich gesagt: ‚Ich wün­schte ich wüsste, wie sich das anfühlt. Aber ich kann mich halt nicht wohlfühlen.‘ Man sollte den Leuten, die zur LGBT-Com­mu­ni­ty gehören, mehr Nor­mal­ität zu ermöglichen, sodass es schwule Fußball­spiel­er gibt, dass es trans­sex­uelle Poli­tik­er gibt, dass alle über­all vertreten sind. Das Prob­lem ist: Oft sind sie das ja schon, aber sie ste­hen nicht dazu. LGBT ist kein Grund, für den man sich schä­men sollte und ich glaube, da liegt die Arbeit auch ganz viel an den LGBT-‚Personen‘, denn man muss eben zu sich ste­hen.

Siehst Du 2019 Veränderung im Vergleich zu den vergangenen fünf, zehn oder 15 Jahren, wie LGBTs angenommen werden?

Ja, defin­i­tiv. Für mich ist es viel mehr aufs The­ma Trans­sex­u­al­ität bezo­gen. Ich glaube, ich war fünf oder sechs und ich saß zuhause im Wohnz­im­mer und habe im Fernse­hen die Talk­show von Britt geguckt. Ich habe das geliebt, ich habe es jeden Tag geguckt, die Talk­show von Britt war meine absolute Lieblingssendung. In der einen Folge ging es um trans­sex­uelle Men­schen und ich weiß noch, wie angeekelt die Leute zum Teil im Pub­likum geguckt haben, das war Ende der 90er. Die trans­sex­uellen Men­schen waren sehr laut, sehr schrill und sehr aufge­set­zt und affek­tiert. Jet­zt rück­blick­end ver­ste­he ich dieses Ver­hal­ten, weil das ein Schutzschild war. Damit man sich nicht noch ver­let­zlich­er macht als ohne­hin schon, übertreibt man maß­los. Das war für mich auch dieser Punkt, wo ich mir damals mit fünf oder sechs Jahren gedacht habe, irgend­wo kann ich mich damit iden­ti­fizieren. Aber irgend­wie auch nicht, denn ich möchte nicht so angeguckt wer­den von meinen Mit­men­schen.

Heutzu­tage gibt es so viele Teenag­er oder junge Erwach­sene, die den Mut haben, ihr wahres Leben auch zu leben, weil es eben nicht mehr so neg­a­tiv behaftet ist. Natür­lich ist es immer noch ein großer Schritt, man weiß immer noch nicht, wie die Reak­tio­nen der Mit­men­schen sind, aber es ist ein­fach schon viel mehr passiert in all­ge­mein­er Akzep­tanz und es gibt viel mehr Infor­ma­tion­s­möglichkeit­en. Als ich mit mein­er Tran­si­tion anfan­gen wollte, wusste ich gar nicht, was der erste Schritt ist. Gehe ich zur Krankenkasse, gehe ich zum Stad­tamt, gehe ich zur Behörde, suche ich mir einen Arzt? Ich wusste gar nicht, wo ich anfange. Und heute gibt es im Inter­net ja so viele Infor­ma­tio­nen dazu, dass sich allein in dieser Hin­sicht viel verbessert hat.

Ich bin dankbar für die Leute, die den Weg vor uns gegan­gen sind, weil das sind diejeni­gen, die es uns heutzu­tage ein­fach­er gemacht haben. Ich hoffe, dass wir, also die jet­zige Gen­er­a­tion, das Gle­iche tun für alle, die nach uns kom­men.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte Dich auch interessieren