Digital Life
Zurück zu echten Begegnungen
In sozialen Netzwerken à la Facebook verlagern sich große Teile der Kommunikation ins Internet. So hält man sich zwar auch über große Entfernungen gegenseitig immer auf dem Laufenden, echte, nicht-virtuelle Bekanntschaften werden dadurch jedoch nicht wirklich gefördert. Anders soll das bei der neuen Plattform WirNachbarn sein, die lebendige Nachbarschaften, in denen man sich gegenseitig unterstützt, aufbauen möchte.
Es ist ja schon fast ein Klassiker. Die Küche ist in der neuen Wohnung so gut wie aufgestellt, da merkt man, dass einem die Stichsäge für die Ausschnitte in der Arbeitsplatte fehlt. Oder die Bohrmaschine, um die Hängeschränke anzubringen. Und keiner in der Nähe, den man fragen könnte, ob er einem das Werkzeug leihen könnte. Da helfen einem auch die 350 Facebook-Freunde nicht.
Mit Social Media gegen die Anonymisierung
Gerade in Großstädten leben viele Menschen auf engem Raum zusammen und doch gibt es häufig keine funktionierende Nachbarschaft. Nachbarschaft im Sinne von Gemeinschaft, in der man sich kennt und sich gegenseitig hilft. Oftmals kennen Großstädter nicht einmal die Leute, die im selben Haus wohnen, so richtig. Auch eine aktuelle Studie der Universität Darmstadt kam zu dem Ergebnis, dass jeder zweite Mieter seine Nachbarn nicht kennt. Anonymität, Abkapselung und sogar Vereinsamung können zu Begleiterscheinungen des urbanen Lebens werden. Und statt die Menschen um einen herum kennenzulernen, verbringen wir mehr und mehr Zeit mit virtuellen Freundschaften.
Ein Berliner Start-up möchte nun den Spieß umdrehen und mit der neuen Social-Media-Plattform WirNachbarn Menschen lokal auch im echten Leben vernetzen. Klingt vielleicht paradox – ist es aber nicht. Menschen, die in unmittelbarer Nähe wohnen, sollen sich auf WirNachbarn kennenlernen, austauschen, sich gegenseitig Tipps geben und Dinge tauschen.
Nachdem Mitgründer Philipp Götting das Buch „Bowling Alone“ des US-amerikanischen Soziologieprofessors Robert Putman gelesen hatte, in dem beschrieben wird, wie Menschen einen immer kleineren Teil ihrer Freizeit mit anderen Menschen verbringen, wollte er etwas gegen die zunehmende Anonymisierung in der Gesellschaft unternehmen. Und so wurde die Idee zu WirNachbarn geboren. In Berlin sind bereits etwa 2000 Mitglieder dabei. Und auch in anderen Städten wie Köln oder Wermelskirchen bilden sich Nachbarschaften. Vorbild für WirNachbarn war das US-amerikanische Netzwerk Nextdoor, in dem bereits über 50.000 Menschen aktiv sind. In Köln unterstützt die Versicherungsangestellte Annette Fuller das Netzwerk ehrenamtlich und nutzt es auch selbst intensiv: „Nachdem ich zufällig WirNachbarn entdeckt hatte, sind wir digital umgezogen, haben seitdem mehr Menschen für die Nachbarschaft gewinnen können und stehen in deutlich intensiverem Kontakt. Dieser äußert sich natürlich erst digital. Aber dadurch, dass die Nachbarn auf ihre Interessen und Aktionen aufmerksam machen können, finden sie Menschen mit gleichen Interessen, Sportpartner, Theaterbegleitungen usw. Natürlich organisieren wir auf diesem Weg auch zum Beispiel gemeinsame Grillnachmittage.”
Registrierung nur mit Klarnamen
Im Gegensatz zu Netzwerken wie Facebook oder Twitter ist bei WirNachbarn eine Anmeldung nur mit dem richtigen Namen möglich. Das wird nach der Registrierung auch überprüft – zum Beispiel per Postkarte, Telefon oder hochgeladene Ausweisdokumente.
Aktuell finanziert sich WirNachbarn noch aus den Rücklagen der Gründer. Die weitere Finanzierung soll zunächst über Investoren, langfristig über Werbung lokal ansässiger Geschäfte erfolgen. Allerdings gelten hier höhere Sicherheitsstandards und Datenschutzrichtlinien als etwa bei Facebook. Alles, was Mitglieder auf der Plattform tun, bleibt unter Nachbarn und kann nicht bei Google gefunden werden.
WirNachbarn ist auch als kostenlose App erhältlich.