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Narziss und Goldmund in der featured-Filmkritik: Von einem, der sich auszog, um das Fürchten zu lernen
Mittelalterfilm, Religionskritik, Sexualaufklärung? Wahrscheinlich weiß nur Regisseur und Drehbuchautor Stefan Ruzowitzky selbst, was er erzählen wollte. Warum der Film nur schwer überzeugt, erfährst Du in der featured-Filmkritik zu „Narziss und Goldmund”.
Die Erzählung „Narziß und Goldmund” (1930) von Hermann Hesse beschreibt die Freundschaft zweier Klosterschüler, deren Unterschiedlichkeiten sich ergänzen. In der ersten Filmadaption der Erzählung gibt es eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit dem Stoff – oder dem, was Regisseur und Autor Ruzowitzky für zeitgemäß hält.
Narziss und Goldmund: Goldmund tut Wahrheit kund
Eine unglückliche Eskapade führt Goldmund (Jannis Niewöhner) ins Kloster Mariabronn zurück und damit zu seinem besten Freund Narziss (Sabin Tambrea). In Rückblenden erfahren wir, wie das strenge Klosterleben die Kinder zusammenschweißt und Goldmund als Jugendlicher das Fernweh packt, während Narziss sich vollends der Liebe zu Gott verschreibt.
Goldmund erzählt von seinen Reisen durch die Welt, seiner Ausbildung zum Bildhauer, diversen Liebschaften in einem von der Pest gebeutelten Mittelalter und von den Wegen, die ihn schlussendlich wieder ins Kloster Mariabronn führten.
Jannis Niewöhner: Casting will gelernt sein
Goldmund erstrahlt in Gestalt von Jannis Niewöhner, einem ausgewiesenen Teenieschwarm des deutschen Kinos. Und als solcher steht, sitzt, liegt und läuft er dann auch oft oberkörperfrei mit seinem Eightpack in der Landschaft umher und lässt sich Mond- und Sonnenlicht auf die blondierten und gegelten Spitzen seines Undercuts scheinen. Ja, fast könnte man ihn mit US-Schauspieler Chris Pine verwechseln. Und Niewöhner spielt, was Jannis Niewöhner eben seit Beginn seiner Karriere spielt: abgebrühte Cool Guys, Bad Guys – oder alle anderen Guys mit Attitüde. Und das funktioniert in solchen Genre-Beiträgen wie der Serie „Beat“ (2018) oder der vermeintlich rebellischen Dystopie „Jugend ohne Gott“ (2017) auch ganz wunderbar. Dort stört es niemanden, dass Niewöhner so wirkt, als stünde er unter Dauerstrom und würde jeden Moment jemandem ins Gesicht boxen wollen. Aber kann man – will man ein Mittelalterstück, ernst nehmen, in dem die seelisch gebrochene Hauptfigur ein frisierter Sportler ist, der Emotionen erzeugen zu versucht, indem er einfach angespannt starrt oder bei Dialogen klingt wie ein Berliner Nachtclubbesitzer?
Und bevor es in den falschen Hals kommt: Jannis Niewöhner ist zu absolut überzeugenden, mitreißenden Darstellungen fähig. Wir erinnern uns an seinen Jonathan im gleichnamigen Drama von Autor und Regisseur Piotr Lewandowski, aus dem Jahr 2016. Heulen wollte man da.
Nun, das möchte man bei „Narziss und Goldmund“ auch. Nur eben aus anderen Gründen. Denn nicht nur, dass Niewöhner womöglich in einer anderen Rolle besser aufgehoben gewesen wäre, nein, sein Partner Sabin Tambrea spielt seinen Narziss auch noch so auf den Punkt, dass da – zumindest gefühlt – eine unüberwindbare Qualitätslücke klafft.
An diesem Punkt darf dann zumindest nicht die Besetzung von Kida Khodr Ramadan unerwähnt bleiben, dessen Bruder Anselm nicht nur mit seiner Intonation, sondern auch seinem übrigen Spiel eins zu eins an das Berliner Clanoberhaupt Tony Hamadi aus dem Milieu-Drama „4 Blocks“ erinnert und damit für (unfreiwillig?) komische Momente sorgt.
Mittelalterromantik: Zwischen Tod, Teufel und Tabu
Wer auf plakative Schauwerte steht, wird sicherlich ein, zwei davon in „Narziss und Goldmund“ finden. Von der Selbstgeißelung über Pestkranke bis hin zu Bettszenen ist eigentlich alles dabei. Das Drehbuch von Stefan Ruzowitzky und Robert Gold inszeniert Goldmund als abenteuerlichen Frauenheld mit Kunst in der Seele und Feuer in der Hose. Dabei darf Emilia Schüle als eine seiner Frauengeschichten nicht fehlen; denn sie darf ja nie fehlen in einem Film mit Jannis Niewöhner.
Und dort, wo die Pesttoten plötzlich unerwartet authentisch und eindringlich ins Bild rücken, wirken die ganzen Liebeleien und der Sex plötzlich so unfassbar verkitscht, dass man glaubt, es liefe das übliche Schmonzetten-TV der Dritten Programme.
Narziss und Goldmund: Der Name der Hose
Dass Stefan Ruzowitzky mit „Narziss und Goldmund“ das große deutsche Mittelalterdrama abliefern wollte, sieht man. Sieht man in großen Einstellungen und gewollt opulenten Bildern von Landschaften, dem Kloster und Städtekulissen. Zum einen macht die Besetzung, scheinbar vornehmlich nach dem Bekanntheitsgrad gecastet, dieser Idee einen Strich durch die Rechnung. Zum anderen findet der Film schwer den richtigen Ton zwischen ernsthaftem Drama und allzu deutschem Redaktionsfernsehen.
Die Kamera von Benedict Neuenfels hat trotzdem recht schöne Bilder gemacht und zweifelsfrei ist Sabin Tambrea als Narziss einen Blick wert.
Narziss und Goldmund
Genre: Drama / Historienfilm
Bundesstart: 12. März 2020
Laufzeit: 110 Minuten
FSK: Ab 12 Jahren (In Begleitung ab 6 Jahren)
Regie: Stefan Ruzowitzky
Drehbuch: Stefan Ruzowitzky, Robert Gold
Hast Du die Erzählung von Hermann Hesse gelesen? Und welche Mittelaltergeschichte fesselt Dich noch immer? Wir freuen uns auf Deine Berichte in den Kommentaren.