Digital Life
Experten-Interview: Was Sprachqualität am Telefon ausmacht
Sprache ist der Schlüssel jeder Kommunikation – dass man sie versteht und „entschlüsseln“ kann, ist die Grundvoraussetzung. Heute können wir uns dank HD-Voice-Qualität sogar über unsere Handys so gut hören, als würden wir unseren Gesprächspartnern direkt gegenüber stehen. So geht im besten Fall keine Betonungsnuance, keine Silbe verloren – und gerade die machen oft den entscheidenden Unterschied.
Was passiert, wenn die Verständlichkeit einer Information eingeschränkt ist, und warum es gerade am Telefon wichtig ist, sich richtig zu verstehen, weiß der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Thomas Niehr von der RWTH Aachen.
Herr Prof. Dr. Niehr, wie wichtig ist es, dass in einem Gespräch – besonders über das Telefon – beide Gesprächspartner laut und deutlich zu verstehen sind?
Über mündliche Sprache transportieren wir die Informationen, die wir vermitteln wollen. Eine verlustfreie Übertragung dieser Botschaft ist das Optimum, weil bei Telefongesprächen die visuelle Ebene fehlt. Das heißt, ich kann die Mimik und Gestik meines Gegenübers nicht beobachten. Ich bekomme bei einem Face-to-Face-Gespräch also mehr Informationen, die zum Verständnis der Botschaft beitragen. Da das in einem konventionellen Telefongespräch fehlt, ist der Sprachkanal der einzige, der mir zur Verfügung steht. Daher sollte die Information, die ich daraus entnehmen kann, möglichst verlustfrei übertragen werden.
Wenn die Sprachqualität bei einem Telefonat nicht besonders hoch ist, welche Informations- oder Kommunikationsebenen gehen am schnellsten verloren?
Das ist schwierig zu beantworten. Wir haben zunächst kein großes Problem damit, wenn einzelne Wörter schlecht oder gar nicht verständlich sind. Bis zu einem gewissen Grad können wir das ergänzen. Aber es gibt natürlich Grenzen. Wenn die Verbindung sehr schlecht ist, gibt es irgendwann einen Punkt, an dem wir das Gespräch abbrechen müssen. Ich hatte diese Situation kürzlich, als ich am Bahnhof angerufen wurde – mit den üblichen Hintergrundgeräuschen wie Lautsprecherdurchsagen und so weiter. Da ist es natürlich sehr schwierig, die wichtigen Informationen rauszufiltern. Das heißt, es gibt irgendwann eine Stufe, an der die Qualität so schlecht ist, dass wir die Information nicht mehr entschlüsseln können.
Was passiert, wenn auf Grund einer schlechten Sprachqualität beispielsweise die Betonung leidet?
Bei einer schlechten Sprachqualität kann die Betonung recht schnell verloren gehen. Das kann zu Missverständnissen führen, die wir im Schriftlichen beispielsweise nicht hätten. Wenn das Geschriebene korrekt ist, sind Nachrichten oft unmissverständlich – steht zum Beispiel hinter einem Satz ein Fragezeichen, ist klar, dass es als Frage gemeint ist. Rein vom Satz her ist das aber häufig nicht eindeutig. Zum Beispiel „Nehmen Sie dieses Medikament täglich“. Schriftlich brauche ich ein Frage- oder Ausrufezeichen. Im Mündlichen ist hier die Betonung natürlich sehr wichtig – und deshalb natürlich auch ihre verlustfreie Übertragung.
In Bezug auf die Betonung in der schriftlichen Kommunikation: Können Satzzeichen und Emoticons Informationen vermitteln, die sonst nur der Sprachkommunikation vorbehalten sind?
Wenn wir Chatkommunikation nehmen – also schriftliche Kommunikation –, fällt vieles wie Gestik, Mimik und Tonfall weg. Emoticons sind der Versuch, dieses Defizit der schriftlichen Kommunikation gegenüber der mündlichen auszugleichen. Insofern ist diese Chatsprache fast schon ein Zwischending zwischen mündlicher und schriftlicher Kommunikation, weil Merkmale der Mündlichkeit über Emoticons und Schriftzeichen wieder reingeholt werden.
Herr Prof. Dr. Niehr, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.
Zur Person:
Prof. Dr. Thomas Niehr lehrt am Institut für Sprach- und Kommunikationswissenschaft der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen Sprachwissenschaft und beschäftigt sich insbesondere mit dem öffentlichen Sprachgebrauch. Er ist erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sprache in der Politik e.V. und Mitglied der Gesellschaft für Angewandte Linguistik. Mit der Methodik, Vielfältigkeit und einem internationalen Vergleich des öffentlichen Sprachgebrauchs beschäftigt sich der Universitätsprofessor unter anderem in seinen Büchern „Einführung in die Politolinguistik“ (2014) sowie „Der Streit um Migration in der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Österreich: Eine vergleichende, diskursgeschichtliche Untersuchung“ (2004).