Digital Life
Die neuen Helden der Lüfte
Wer sie sieht, denkt zunächst meist an Hollywood-Blockbuster. Dabei machen sich unbemannte Luftfahrzeuge immer häufiger fürs Gemeinwohl nützlich und eröffnen ganz neue Perspektiven - in den unterschiedlichsten Bereichen des Alltags.
Nach einem rasanten Abstecher durch ein marodes Treppenhaus hetzt Daniel Craig auf seiner Honda hoch über den Dächern Istanbuls einem Terroristen hinterher — unter sich den Großen Basar, vor sich die Blaue Moschee. Die spektakuläre Verfolgungsjagd in James Bond 007 - Skyfall erlaubt den Kinobesuchern einen atemberaubenden Blick aus der Vogelperspektive auf die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei. Plötzlich scheint alles möglich: Die Drohnenperspektive potenziert nämlich nicht nur den Unterhaltungswert von waghalsiger Action. Sie erleichtert auch die Inspektion schwer zugänglicher Bauwerke und hilft bei der Erforschung von Flora und Fauna oder in der Katastrophenprävention.
„Besonders beeindruckend war die Geschwindigkeit, die die Motorräder so mühelos erreichten“, erinnert sich Kameramann Emmanuel Prévinaire fünf Jahre nach dem Dreh der Luftaufnahmen für Skyfall. „Die größte Herausforderung war ihre enorme Wendigkeit. Unsere Kamera musste deshalb in wenigen Sekunden auf 120 km/h beschleunigen, was eine perfekte Zusammenarbeit zwischen dem Piloten der Flying-Cam SARAH und dem Kamera-Mann erforderte.“ So beschreibt der Video-Spezialist den Einsatz eines mit einer ‚5K RED Epic’-Kamera und Zeiss-Optik bestückten, ferngesteuerten Helikopters. Wir nennen so etwas heute schlichtweg ‚Drohne’.
Die erste Produktionsfirma, die unbemannte Luftfahrzeuge im Entertainment einsetzte, gründete Prévinaire 1988. „Drohnen faszinieren mich, weil sie eine Erweiterung unseres Körpers darstellen - sie verleihen unseren Augen Flügel.“ Für seine technischen Leistungen wurde der Pionier bereits mit zwei Academy Awards aufgezeichnet. „Ich erinnere mich an eindrucksvolle Flüge entlang der belebten Champs-Elysées oder über die Inkastadt Machu Picchu. Mit Drohnen können wir Dinge realisieren, die für größere Flugobjekte unmöglich sind. Deshalb werden sie zum festen Bestandteil jeder Produktion.“ Seit nunmehr zehn Jahren versucht Prévinaires Unternehmen, mit Flying-Cams weitere Märkte für industrielle, behördliche oder akademische Zwecke zu erschließen.
Aus selten wird selbstverständlich
Auch in Deutschland sind unbemannte Luftfahrzeuge am Set längst keine Seltenheit mehr. „Drohnen kombinieren Steadycam, Dolly, Kran und Hubschrauber und stellen damit vor allem klassische bodengebundene Systeme in den Schatten. Vor zwei Jahren hat das Bild noch sehr gewackelt, doch dank der neuen Kamera-Stabilisierungsysteme arbeiten wir heute mit echten ‚Game-Changern’“, weiß das Team der Berliner PHX Pictures GmbH. Copter-Pilot Ben Tewaag und sein Kollege David Schlange sehen einen besonders großen Vorteil in ihrer Flexibilität. „Ein eingespieltes Team ist in 15 Minuten drehfertig. Ob dann in zehn Zentimetern Höhe mit drei km/h geflogen oder in 100 Metern mit 75 km/h ein Geländewagen verfolgt wird, ist vor Ort nur noch eine Entscheidung des Regisseurs.“ Besonders fasziniert die beiden Bilder zu produzieren, die sonst nur am Computer programmierbar wären. „Beim Drone Film Festival in New York sind wir mit einer sehr langen Sequenz ohne Schnitt, die vor fünf Jahren technisch unmöglich gewesen wäre, für einen Spezial-Kamera-Preis nominiert“, erzählt Tewaag stolz.
Die Technologie entwickelt sich rasant und schafft immer häufiger gesellschaftlichen Mehrwert. „Drohnen können unterhalten, aber auch helfen. Die Chancen sind enorm, sei es beim Organtransport in Großstädten, bei der Lageeinschätzung gefährlicher Situationen oder bei der Suche von Vermissten“, so Tewaag über den Einsatz von Drohnen außerhalb der Unterhaltungsbranche. Erste einschlägige Projekte befinden sich bereits im Teststadium: Die ferngesteuerte Rettungsdrohne des niederländischen Ingenieurs Alec Momont ist mit einem eingebautem Defibrillator ausgestattet. Im Notfall erreicht sie ein Infarkt-Opfer im Umkreis von zwölf Quadratkilometern innerhalb von einer Minute und könnte damit eine Überlebensrate von 80 Prozent sichern. In Österreich wird zudem eine, an der Ferdinand-Porsche-Fern-FH produzierte, App für Smartphones zu einem neuen Drohnensystem weiterentwickelt, die Einsätze der Suchhundestaffeln des Roten Kreuzes unterstützen soll.
Die neue Vermessung der Welt
Drohnengestützt könnte das Rote Kreuz Niederösterreich zukünftig Lagen präziser einschätzen und die Einteilung von Suchsektoren optimieren. Mit metergenauen Vermessungsjobs mittels GPS-Fotodokumentation beschäftigt sich videodrohne.tv. Neben Aufträgen für Film und Fernsehen setzt das Essener Unternehmen seine Oktocopter zur Schadensdokumentation von schwer zugänglichen Bereichen ein. „Wir fliegen rasterartig ein zehn Hektar großes Waldstück ab, schießen dabei tausende Fotos und setzen diese dann zu einem Plakat zusammen. Weil jedes Foto mit Koordinaten versehen ist, kann genau bestimmt werden, welche Schäden in welchem Bereich auftreten“, erklärt Vertriebsleiter Rolf Schmitz und ergänzt eine weitere Möglichkeit der Bildauswertung: „Als wir nach einem Sturm die Wälder abgeflogen sind, haben wir nicht nur umgefallene, sondern auch verfärbte Bäume geortet, die gefällt werden mussten, um größeren Schaden zu vermeiden.“
Auch René Kiefer, Gründer der österreichischen Produktionsfirma AirWorX, ist vom vielfältigen Einsatzspektrum der Drohnen überzeugt. „Luftaufnahmen gehören zu jedem guten Film, ganz gleich ob es sich um eine Doku oder um einen Image-Spot handelt. Sie stellen einen Überblick über die Gesamtsituation her und vermitteln dem Zuseher dabei ein runderes Gefühl.“ Kiefers Team drehte am Mölltaler Gletscher für die Hollywood-Produktion Point Break mit einer eigens entwickelten Drohne viele zusammenhängende Panoramen. Die wurden dann bei Action-Szenen für den Aufbau des Hintergrundes verwendet. „Es gab wahnsinnig viele unzugängliche Stellen, wo sich der Copter bewegen musste. Wir flogen einen Meter an eine Bergwand heran, verharrten dort oder begleiteten zwei Meter über dem abfallenden Hang einen Convoy auf der Bergstraße - heute ist das alles möglich.“
Von der Leinwand in die Realität
Die Flexibilität der Drohnen und die wachsende Nachfrage von Seiten der Forschung weckten im französischen Ökologen David Grémillet das Bedürfnis nach Richtlinien beim Zusammentreffen von Technik und Tieren. Für diese Flugempfehlungen erforschte Grémillet unter anderem die Wirkungen von Farbe, Geschwindigkeit und Flugwinkel der unbemannten Luftfahrzeuge auf das Verhalten von Vögeln. Überraschenderweise konnte sich sein Team an teils sehr sensible Arten herantasten, ohne sie zu stören. Außer zu Forschungszwecken werden Drohnen deshalb auch im Tierschutz eingesetzt. „Wenn ich durch frisch gemähte Wiesen gehe, finde ich dort von Mähdreschern verletzte oder getötete Rehkitze, Feldhasen und bodenbrütende Vögel“, berichtet Frank Demke vom Verein Wildtierhilfe MV. Von März bis Juni beherbergen die Wiesen zahlreiche Wildtierarten, weshalb die erste Heuernte zu verheerenden Verlusten führt. „Es wird geschätzt, dass so allein in Deutschland jedes Jahr rund eine halbe Million Tiere sterben.“ Um dem ein Ende zu setzen, hat Demke lange nach einer Lösung gesucht und fand sie in einem GPS-gesteuerten Fluggerät. Mit Unterstützung von Modellbauprofis schickt der Tierschützer jetzt einen Hexacopter mit Video- und hochempfindlicher Infrarot-Kamera über die Felder. „Die Drohne fliegt selbstständig einen vorgegebenen Bereich nach GPS-Daten ab. Wir können während der Live-Übertragung genau sehen, wo sich Tiere im hohen Gras verstecken.“
Ein beflügelnder Blick in die Zukunft
Die positiven Anwendungsmöglichkeiten von professionell eingesetzten Drohnen sind zahlreich und rücken immer mehr in den Vordergrund. Der deutsche Digitaljournalist Marcus Bösch lobt neben Drohnen, die Pakete ausliefern oder zum Schutz der Besucher über Veranstaltungen schweben, auch ihren Nutzen für die journalistische Recherche. Bösch ist sich sicher, dass zukünftig bemannte als auch unbemannte Fluggeräte ganz selbstverständlich zu unserem Alltag gehören werden. „Ich kann zwar mit meiner Drohne nicht ohne Erlaubnis den Berliner Reichstag überfliegen. Will ich aber investigativ herausfinden, ob aus einem Schornstein wirklich nur harmloser Wasserdampf aufsteigt, dann bietet sich diese Technologie durchaus an.“
Foto: © Lisa Swarna Khanna & ©Yannick van de Wijngaert