Digital Life
Der moderne Bauernhof – ein Interview mit Jacob van den Borne
Jacob van den Borne ist der fortschrittlichste Landwirt der Niederlande, vielleicht sogar Europas. Mit einer ganzen Armada von Drohnen, mit Sensoren und einem digitalen 3D-Bauernhof versucht der Landwirt seine Kartoffeläcker zu optimieren. Wir trafen ihn auf seinem Hof.
Van den Borne sitzt in seiner Küche, die auch als Büro seines Bauernhofes dient, an einem großen Konferenztisch – versteckt hinter einem Seiteneingang in einer riesigen Scheune, in der ein paar Tonnen Kartoffeln lagern. An der Wand über der Spüle hängt die Firmengeschichte, illustriert mit Fotos des Betriebs. Auf Luftaufnahmen staffeln sich von links nach rechts die Erweiterungen des Hofs und neben dem Waschbecken steht eine schneeweiße Drohne.
“Guck mal”, sagt Jacob stolz und nippt an seinem dampfenden Instantkaffee, “mit diesem Chip hat mein Vater schon vor 20 Jahren seine Maschinen programmiert. In DOS.”
Van den Borne ist ein ganz besonderer Bauer. Als ‚Präzisionslandwirt’ versucht er, seine Pflanzen mit allerlei Equipment minutiös zu vermessen, zu erforschen und zu analysieren, um einen möglichst großen Ertrag pro Hektar einzufahren. Sein Vater hat damit schon 1994 angefangen.
Jacob Van den Borne
Die Landwirtschaft der Familie befindet sich in Reusel, einem Grenzdorf zwischen Eindhoven und Turnhout. Vater Van den Borne, ein gebürtiger Belgier, zog 1972 in diesen Weiler – immerhin gab es damals auf der niederländischen Seite der Grenze schon fließendes Wasser. So konnte er seiner Frau ein wenig Komfort bieten. Die fünf gigantischen Lagerhallen, aus denen der Bauernhof besteht, schmiegen sich an das letzte Stückchen niederländischen Bodens – 200 Meter weiter steht man schon in Belgien.
„Messen ist Wissen” (Niederländische Redensart)
2006 übernehmen Jacob und sein Bruder den Hof von ihrem Vater. Die Parzellen, insgesamt etwa 500 Hektar, liegen 30 Kilometer nördlich und südlich von Reusel. Weiter in die Fläche zu wachsen, war nicht möglich, weil schon damals die Konkurrenz um das Ackerland groß war. Angesicht so vieler weit verstreuter Ackerflächen musste also ein System entwickelt werden.
Die Devise war, so viel wie nur möglich aus dem begrenzt verfügbaren Boden zu holen. „Ich begann mit dem GPS-gesteuerten hoch-präzisen ‚Geradeausfahren’ und Doppelbearbeitungen von Ackerflächen vermeiden.”
Weiter perfektioniert wurde die Bodennutzung durch das sogenannte ‚Sensing’ mittels Scannern und Sensoren, das 2010 zu einer Kooperation mit der Universität Wageningen führte:
“Ich hatte alle Sensoren, die damals auf dem Markt waren, unter meinen Traktor gebaut und fing an, mich mit der Pflanzenwissenschaft (crop science) zu befassen. Nach einem Jahr kam ich zu der Erkenntnis, dass ich zwar dokumentieren kann, was schief geht, es dann aber zu spät ist, noch etwas daran zu ändern. Wirklich interessant wurde es, als wir uns dem Boden mit Feuchtemessungen, Bodenscans und so weiter, zugewandt haben. Da wird einem erst mal klar, was man alles falsch macht. Man muss verstehen, welche Fehler man macht, wenn man sich weiterentwickeln will”, erzählt Van den Borne. Und die Zahl der Fehler ist beachtlich. Egal, wie erfahren man auch ist und wie gut man seine Äcker kennt – die Probleme hatten sich im Matsch versteckt. Van den Borne misst alles: von der Fruchtbarkeit der verschiedenen Böden über die Beschattung seiner Pflanzen bis hin zu den optimalen Routen seiner Maschinen durch die Parzellen.
“Man kommt nicht sofort darauf, aber überall, wo der Traktor herfährt, wird die Luft aus dem Boden gepresst, wodurch die Hälfte des Bodenlebens abstirbt. Wenn man aber die optimale Fahrtroute findet, generiert man damit ganz leicht sieben Prozent mehr Umsatz.” Alles, was die Kartoffelernte behindert, wird deshalb systematisch untersucht und angegangen.
Die Messungen beschränken sich übrigens nicht auf seine Kartoffeln, auch privat läuft das eine oder andere Forschungsprojekt. Seine Frau guckt deshalb manchmal schon komisch. “Sie hat keinen Bezug zu Computern. Für sie ist das alles Quatsch. Aber als ich dank einer Fitness-App 20 Kilo abnahm, war sie schließlich doch überzeugt.”
Ein Blick in die Zukunft
Van den Bornes Ehrgeiz ist, aus seinem Betrieb den Bauernhof der Zukunft zu machen. Dafür testet Jacob Technologien, die möglicherweise schon in zehn Jahren von jedem niederländischen Bauer eingesetzt werden. Aber er empfindet seinen Vorsprung eher als hinderlich. “Im Grunde ist doch hier alles improvisiert. Es funktioniert zwar alles und meine Theorien scheinen zu stimmen, aber ich trage immer noch alles von Hand in Exceltabellen ein. Damit fängt der Durchschnittsbauer gar nicht erst an – das muss dringend automatisiert werden.”
Inzwischen sind fast allen Testphasen durchlaufen – jetzt ist es höchste Zeit zu perfektionieren. “Damit werden wir den größten Gewinn verbuchen können. Aber das gelingt erst, wenn der Mainstream mitzieht, weil sonst keiner weiter investiert. Die Lieferanten wollen ja ihr investiertes Kapital wieder einspielen.”
Irgendwie liegt Van den Borne’s Bauernhof schon ideal. Nahe Eindhoven, am Rande der ’smartesten Region der Welt’ mit dem ‚Brainport’ und nur einen Steinwurf entfernt von Firmen wie zum Beispiel Philips.
Die Van den Bornes haben sich im Laufe von acht Jahren eine Vorreiterrolle gesichert. Neben der Zusammenarbeit mit der Universität Wageningen kooperieren sie nun auch mit der Universität Gent. Jacob liefert ihr ‘Big Data’, mit denen Landwirtschaftsstudenten dort promovieren können. Auch deutsche Hochschulen stehen mittlerweile Schlange und Van den Borne spricht ständig mit Herstellern, um zu sondieren, wo sich neue Möglichkeiten auftun.
“Hast Du meine Präsentation eigentlich schon gesehen?”, fragt er begeistert und geht zu seinem Computer, der in einer Ecke der Küche aufgebaut ist. Eilig zeigt er eine Powerpoint-Präsentation, in der jeder Entwicklungsschritt seines Bauernhofs visualisiert wird. “Hier, guck mal: ein 3D-Rendering von meinem Hof. 750 Fotos, aufgenommen mithilfe einer Drohne – auf zwei Zentimeter genau. Da ist jedes Blättchen von jedem Baum zu sehen. Da hat der Computer drei Tage dran gerechnet.” Es ist seine ‚Cloud-Farm’, ein digitaler Bauernhof, auf dem man in Zukunft alles verfolgen kann, was auf seinem Hof passiert. Komplett ‘open source’, für jeden zugänglich.
‚Minority Report’
“Ich habe gerne den totalen Überblick”, sagt er, während er auf einen der vielen Bildschirme seiner Überwachungskameras blickt. Damit kann er seinen gesamten Hof im Auge behalten. Und um noch einmal zu betonen, wie fortschrittlich er ist: “Ich kann genau sehen, wer wann vorfährt – theoretisch könnte ich die Arbeitszeiterfassung meines Personals komplett automatisieren.”
Van den Borne denkt wirklich an alles und rattert blitzschnell alle Technologien runter, die er noch haben möchte. Ganz oben auf dem Wunschzettel: 3D-Holographie, eine Kameratechnik, mit der zum Beispiel eine Wand zum Touchscreen wird.
Hier siehst Du eine Kurzdoku mit Jacob van den Borne in der Hauptrolle, produziert von der niederländischen Vodafone-Plattform ‚Firestarters’:
Autor: Rik Hermans
Bildnachweis: Rik Hermans
Originalartikel: http://www.firestarters.nl/nl/detail/general_article/interview-jacob-van-den-borne