Digital Life
Der Lehrer der Zukunft ist Game-Designer: Ein Interview mit Karim Amrani
Als Teenager flog er von der Schule, jetzt revolutioniert er das Bildungssystem: Der niederländische Designer und Pädagogik-Innovator Karim Amrani will ödes Pauken zu einem aufregendem ‚Game’ machen. Die Wissenschaftsjournalistin Enith Vlooswijk hat Amrani seine Lebensgeschichte entlockt und ließ ihn seine Vision von Technologie im Unterricht erzählen.
Jeden Dienstagmorgen um neun wünschte er sich, es wäre schon eine Stunde später. Karim Amrani (28) erinnert sich noch lebhaft daran, wie langweilig er als Schüler die Französischstunden fand. “Ich sah mir keine französischen Filme an und bin auch nicht nach Frankreich in Ferien gefahren. Und dann mach mal einem 13-Jährigen klar, warum er Französisch lernen soll. Aber ich musste es einfach lernen – Ende der Diskussion. Und so bekam ich schlechte Noten.”
Amrani sitzt an einem Tisch in der Amsterdamer Zentralbibliothek und trinkt Mineralwasser aus einer kleinen Flasche. Er ist klein, trägt einen dunklen Kinnbart und sieht mich aus freundlichen Augen an. Den größten Teil seiner Zeit ist er unterwegs. Seinen Laptop immer einsatzbereit, besucht er Schulen und Museen, vermittelt Dozenten das Thema Innovation und lässt sich gerne von seinen Gesprächspartnern inspirieren. Er war schon oft Redner bei den in den Niederlanden so populären TEDx-Innovationsvorträgen und wurde unter anderem vom Amsterdamer Science Center Nemo, dem Lehrmittelverlag Malmberg und dem niederländischen Kennisnet engagiert. Sein großes Ziel: den Unterricht verbessern.
Bildung als ‚Reisebüro’
“Ich finde, Unterricht sollte mehr wie ein Reisebüro sein,” erklärt er. “Da begeistert man Dich für ein Reiseziel und hilft Dir hinzukommen. Man konzentriert sich auf ein Endprodukt, einen Traum. Schulen tun das leider überhaupt nicht. Nach der Sekundarstufe II haben die meisten Kinder absolut keine Ahnung, was sie eigentlich wollen und was für sie möglich sein könnte.”
Der junge Karim dagegen wusste, wie sein zukünftiger Weg aussehen sollte: Als er etwa 12 Jahre alt war, brachte er sich selbst das Programmieren bei, um Spiele zu entwickeln. Auf einem alten Computer, der sich jede halbe Stunde überhitzte, lernte er in kurzer Zeit, viel zu bewegen. Wenn er wusste, warum er etwas tat, dann war er auch lernbegierig. Mathe zum Beispiel war nützlich fürs Programmieren. Bei Fächern wie Französisch und Chemie fehlte ihm diese Motivation, weshalb er schließlich zum zweiten Mal sitzen blieb und die Schule verlassen musste. Der Direktor fand, dass er besser zur Hauptschule gehen sollte, um Zimmermann zu werden. “In einem Test gab ich an, dass ich gerne etwas mit meinen Händen machen würde. Dabei dachte ich allerdings mehr an Roboter bauen oder so”, sagt er lachend.
Amrani schlug den Rat des Direktors in den Wind und absolvierte eine verkürzte Sek-II-Ausbildung – zusammen mit Erwachsenen. Die Unterrichtsform war einzig und allein auf den Erwerb des Abschlusses ausgerichtet. “Wir lernten die Sache pragmatisch anzugehen und 80% zu erreichen. So habe ich schließlich doch noch meinen Abschluss geschafft. Das hat mich aber auch endgültig davon überzeugt, dass das niederländische Bildungssystem durchaus Optimierungspotenzial hat.”
Dass es auch anders ging, sah er bei Projekten, die er während seines Aufbaustudiums an der Hochschule von Utrecht absolvierte: Amrani programmierte eine App, mit der man spielerisch das Einmaleins üben kann, einen interaktiven Sandkasten und ein projizierbares Computerspiel, das mit einer von den Kindern selbst gebastelten Stadt aus Papier interagiert.
Unsichtbare Technologie
Spielerisch lernen mit der gleichen Begeisterung, mit der man eine Spielkonsole bedient – das ist Unterricht, wie er Amrani vorschwebt. “Man kann im Unterricht viel mehr erreichen, wenn man Technologie und Pädagogik unsichtbar in einem Spiel verarbeitet – solange das Ziel konkret ist und nicht zu weit in der Zukunft liegt.” Vier Jahre lang trug der Bildungsinnovator diese Botschaft in Schulen, Museen und Bibliotheken, um schließlich doch zu der ernüchternden Einsicht zu kommen: Wenn man das Bildungssystem verändern will, sollte man nicht bei den Schulen selbst vorstellig werden.
„Kaum war ich weg, wurde nämlich der interaktive Sandkasten wieder eingepackt und alles blieb beim Alten. Eine Schule ist ein komplexes System – man kann es mit einem 100-jährigen Apfelbaum vergleichen. Wenn man Innovation möchte, kann man alle möglichen Obstsorten in den Baum hängen: Bananen, Birnen, Orangen. Aber im Herbst fällt alles wieder von den Zweigen und im Frühling wachsen wieder gewöhnliche Äpfel am Baum.” Amrani besucht immer noch regelmäßig Schulen, aber jetzt richtet sich sein Ehrgeiz auf die Gründung einer Online-Schule, die eine Milliarde Schüler bedienen soll. Für Schüler, die lieber als alles andere online lernen wollen. “Das geht auf alle möglichen Arten”, erklärt er begeistert. “Bei kleinen Kindern kann man beispielsweise durch Projektionen das Schlafzimmer in eine Dinosaurier-Welt verwandeln – oder in einen tropischen Regenwald. Dann können sie spielerisch alles darüber lernen. Für Erwachsene gibt es andere, geeignetere Formen. “
Neue Formen des Unterrichts
Lernen mit der Hilfe von Smartphone, Tablet oder Computer, in Gruppen oder alleine, wann immer man will – Karim sucht noch nach geeigneten Formen, denn es müsse eine bessere Lösung geben, als die aktuell verfügbaren Online-Kurse. “Dass da etwa 95% der Teilnehmer abbrechen, liegt vor allem daran, dass man sich erstmal zig Stunden lang Anleitungen anschauen muss. Ich habe vor Kurzem einen Onlinekurs entwickelt, in dem den Teilnehmern in fünf Schritten von jeweils fünf Sekunden erklärt wird, wie man selbst eine App entwickelt. Der Kurs wurde in den letzten drei Wochen ungefähr 2500 Mal genutzt. So lernt man, was angenommen wird und geht von da aus dann schrittweise weiter.” Dass eine Milliarde Nutzer extrem hoch angesetzt ist, weiß Amrani natürlich. Und auch, dass er noch oft auf die Nase fallen wird. “Vieles wird nicht funktionieren und schief gehen, aber so ist das eben. Wer läuft, stolpert auch hin und wieder. Aber wer nie stolpert, der läuft auch nicht schnell genug.”
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