Digital Life
Mobil im Alter: Der digitale Rollator der Zukunft
Deutschland rollt. Rund zwei Millionen Menschen ziehen laut Deutscher Verkehrswacht derzeit mit einer Gehhilfe durch die Lande – Tendenz steigend. Der Rollator ist künftig nicht mehr nur Einkaufshilfe und Sitzbank, sondern wird zum schicken Hightech-Accessoire, meint Professor Stephan Schäfer von der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Er arbeitet mit seinem Team an der Entwicklung und hat uns verraten, was der Rollator in Zukunft alles können soll.
Herr Prof. Dr. Schäfer, wie offen sind Senioren Ihrer Erfahrung nach gegenüber neuer technischer Geräte?
[…] Anders als bei medizinischen Geräten ist die Toleranz bei Produkten, mit denen sich ältere Menschen im Alltag beschäftigen […], noch nicht so stark vorhanden. Es hängt von der Nutzbarkeit der Produkte ab, also davon, wie stark ein Gerät das tägliche Leben beeinflusst und wie hoch der Aufwand für die Bedienung ist.
Welche Herausforderungen stellen sich den Ingenieuren und Designern bei der Entwicklung technischer Alltagsgeräte für Senioren?
Zunächst einmal sollte das Design ansprechend sein. Es darf niemanden in seinem Lebensumfeld diskriminieren oder eingrenzen. Darüber hinaus ist bei der Funktionalität zu beachten, dass das Gerät einfach zu bedienen ist. Wir verfolgen die Idee, die Komplexität der Technologien mit Hilfe sogenannter Assistenz-Systeme zu reduzieren, ähnlich wie bei Fahrassistenzsystemen in der Automobilbranche. […] Bei einem Automatikgetriebe zum Beispiel merkt der Nutzer gar nicht, dass diese Technologie vorhanden ist. Es wird automatisch der passende Gang gewählt, wenn der Fahrer aufs Pedal drückt. Der Fahrer hat also keinen Aufwand bei der Bedienung. Solche Systeme können auf Produkte im Bereich des Assisted Living übertragen werden. […] Unser Rollator hat zum Beispiel Sensoren, die das Umfeld erkennen und über Vibration am Handgriff den Nutzer auf ein Hindernis aufmerksam machen. […] Bei diesen „smarten Assistenten“ hat der Nutzer keinen Mehraufwand in der Bedienung.
Was wird der Rollator der Zukunft können?
Er wird weit mehr sein als eine einfache Gehhilfe. Generell erschließen sich für den Rollator durch neue Technologien ganz andere Anwendungsfälle. Wir sprechen von sogenannten „Used Cases“. Der Rollator, den wir konzeptionell entwickelt haben, basiert auf verschiedenen Technologien, beispielsweise aus dem Bereich der Elektro-Bikes. Das Konzept verfügt über einen Narbenmotor, der bei der Fortbewegung Unterstützung leistet, zum Beispiel beim Überqueren eines Bürgersteiges. Wir haben Frühwarn-Systeme wie Ultraschall, die im Nah- und Fernbereich vor Gefahren und Hindernissen warnen. Über ein integriertes GPS-Modul kann der Rollator Geschwindigkeiten messen. Und er kann beispielsweise dazu dienen, über GPS den Standort des Nutzers an eine Notrufzentrale zu übermitteln. Wir können einen Notfall-Button installieren und einen entsprechenden Service anbieten, wobei der Rollator geortet und Hilfe gerufen werden kann. Generell kann das GPS-Modul auch zur Kommunikation genutzt werden. Darüber hinaus ist denkbar, dass über Sensoren am Rollator die Vitalwerte gemessen werden: Blutdruck, Herzfrequenz oder auch erhöhtes Schwitzen, um das Stresslevel zu messen. Diese Daten könnten ebenfalls per GPS weitergeleitet und ausgewertet werden, sodass im Ernstfall automatisch eine ärztliche Notrufstelle alarmiert wird. Die Geschäftsmodelle dazu befinden sich noch in der Entwicklung.
Welche Vorteile bringt dieser Rollator der Zielgruppe?
Die Idee hinter solchen Produkten ist, die Lebensqualität des Nutzers zu verbessern. Der Rollator soll Dich bei der täglichen Fortbewegung unterstützen. Er hilft, Lasten zu bewegen und gibt Orientierung. Er erweitert Deinen Aktionsradius. Wenn wir den Rollator beispielsweise in Alten- und Pflegeheimen zur Verfügung stellen, können diese Menschen damit ihren Lebensraum erweitern. Sie können wieder selbstständig zur nächsten Bäckerei gehen, was sie sich mit einem gewöhnlichen Stahlrohr-Rollator vielleicht nicht zugetraut hätten. Unser Rollator ist zusätzlich mit Licht ausgestattet und auch für den Außeneinsatz sehr gut geeignet, weil unterschiedliche Räder konfiguriert werden können. Zum Beispiel geben Luftdruckräder mit entsprechenden Profilen im Winter und bei Glätte besseren Halt.
Können diese Technologien das bisherige Image des Rollators als „Alters-Gehhilfe“, was oft mit Scham und Ablehnung besetzt ist, revolutionieren?
Auf jeden Fall. Der erste Anspruch an das Design war, dass wir ein Lifestyleprodukt entwickeln, das hochwertig verarbeitet und einfach zu bedienen ist. Es soll den Senioren ein entsprechendes Lebensgefühl vermitteln. Wie eine schicke Handtasche oder jedes andere Lifestyleprodukt soll der Rollator zur Nutzung anregen. Dabei spielen das Design und die Materialien eine große Rolle. Wir haben uns für ein Aluminiumgestell und Carbonteile entschieden und ein optisch ansprechendes Produkt entwickelt. Ich vergleiche das gerne mit Wandern und Nordic Walking […]: Die Carbon-Sticks beim Nordic Walking sind nicht mehr nur Hilfsmittel beim Wandern, sondern ein modisches Accessoire. Das ist auch die Idee hinter unserem Rollator: er soll als Mode-Accessoire gesehen werden, das Du farblich abstimmen und komplett nach Deinen Bedürfnissen ausrichten kannst. Wie beim Auto gibt es verschiedene Konfiguratoren, so dass Du ein Gerät erhältst, das genau zu Dir passt.
Wie nah ist diese „Zukunft“? Sprich, wann wird es solche Rollatoren geben?
Das hängt stark vom Markt ab. Ich gehe fest davon aus, dass sich die Technologie in den nächsten fünf bis zehn Jahren ganz erheblich weiterentwickeln wird. Wir hoffen bei unserem „Smart Rollator“ mit einer vergleichbaren Entwicklung wie bei Hörgeräten oder auch E-Bikes. Vor sechs, sieben Jahren waren E-Bikes nahezu unerschwinglich, heute liegen sie bei einigen Hundert Euro.
Vielen Dank für dieses sehr informative Interview, Herr Prof. Dr. Schäfer.
Zur Person: Prof. Dr.-Ing. Stephan Schäfer ist Leiter des Masterstudienganges Ambient Assisted Living an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin. Zu seinen Fachbereichen zählen unter anderem Elektrotechnik, Automatisierungssysteme und Robotik. Mit seinem fünfköpfigen Team arbeitet er derzeit an einem zukunftsweisenden Hightech-Rollator, der die Bereiche der Ingieneurtechnik, des Designs und der Humanwissenschften miteinander verbindet.