

Wie werden Retail Analytics die Zukunft des Verkaufs beeinflussen? Und welche neuen Geschäftsmodelle ermöglicht die Digitalisierung? Dr. Jörg Ehmer, CEO von Apollo-Optik, über die Zukunft seines Unternehmens und die Transformation der Handelsbranche.
Dr. Jörg Ehmer, gelernter Jurist, war zehn Jahre bei Vodafone tätig, überwiegend in Vertriebsfunktionen, bevor er die Vertriebsgeschäftsführung der E-Plus-Gruppe übernommen hat. Seit Juli 2014 ist er Mitglied der Geschäftsführung von GrandVision, dem weltweit führenden Optik-Filialisten, und CEO von Apollo-Optik.
Mit über 860 Filialen ist das 1972 gegründete Unternehmen Apollo-Optik der filialstärkste Optiker Deutschlands. Hinzu kommen 150 Standorte in Österreich unter der Marke Pearle Optik.
Apollo-Optik setzt voll auf die Digitalisierung seiner Angebote und Geschäftsprozesse und die enge Vernetzung seiner Filial- und Onlineangebote. Dazu realisierte Vodafone für Apollo-Optik unter anderem die VPN-Verbindung zwischen den Filialen und der Firmenzentrale, eine einheitliche IP-Telefonie-Plattform sowie verschiedene CRM- und Retail-Analytics-Anwendungen.
Wir sprachen mit Dr. Jörg Ehmer, CEO von Apollo-Optik und meinungsstarker Blogger zu Themen aus dem Handel, der Arbeitswelt, Wirtschaft und Gesellschaft (ehmers-blog.de).
Warum haben Sie sich entschieden, mit Apollo den Schritt in die Digitalisierung zu gehen?
Dr. Jörg Ehmer: Weil sich der Einzelhandel weiterentwickeln lässt durch die Möglichkeiten der Digitalisierung – und im Vorteil sind die, die diese Chancen proaktiv und frühzeitig nutzen. Wir sitzen gerne lieber vorne auf dem Wagen als hinterherzulaufen. Dazu muss man wissen, dass die Augenoptik zumindest im Bereich optische Brillen mindestens fünf, eher zehn Jahre hinter anderen Einzelhandelsbereichen hinterherhinkt. Das wird nicht so bleiben, und einer der Gründe ist, dass wir als wichtiger Player im Markt diese Entwicklung mit vorantreiben.
Wie hat die Digitalisierung die Geschäftsmodelle von Apollo verändert? Hat die Digitalisierung eventuell sogar neue Geschäfts- bzw. Erlösmodelle ermöglicht?
Die digitale Transformation erfasst, wie nahezu überall, das komplette Unternehmen. Es ist keine reine Frage des Frontends zum Kunden oder der digital abgeschlossenen Transaktion. Es geht umfassend um Prozesse, um Kommunikation, um ein sich schnell wandelndes Marketing, um gigantische Möglichkeiten im Bereich CRM und um vieles mehr.
In der Augenoptik gibt es einiges, das zumindest im Moment noch eines physischen Kontaktes bedarf. Aktuell gibt es noch keine wirklich ausreichenden Online-Sehtests, und auch die Anpassung der Brille an die individuelle Kopfform ist ein manueller Vorgang. Also spielt der stationäre Teil eine wichtige Rolle, und das wird zumindest mittelfristig erst einmal so bleiben. Dafür fühlen wir uns mit unseren knapp 900 Filialen in Deutschland gut aufgestellt – keine andere Kette hat auch nur annähernd diese flächendeckende Nähe zu ihren Kunden.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Chancen, die sich für Apollo aus der Digitalisierung ergeben? Wie profitieren Ihre Kunden davon?
Unser Markt ist gerade in Deutschland extrem zersplittert – es gibt rund 11.000 Optiker. Mit steigender Preis- und Leistungstransparenz wird sich das verändern. Die Digitalisierung ermöglicht es uns, auch hier mindestens einen Schritt voraus zu sein. Die Realisierung eines Omnikanal-Modells mit einem nahtlosen Kundenerleben und Interaktionsmöglichkeiten über alle Kontaktpunkte hinweg ist für einen Einzelkämpfer oder auch für eine kleinere Kette kaum zu leisten.
Schon heute haben unsere Kunden viele Vorteile: Sie können seit vielen Jahren online Termine buchen, um Wartezeiten zu vermeiden, unser Sortiment online ansehen und sicherstellen, dass ihr Wunschmodell bei ihrem Besuch für sie im Laden reserviert ist. Sie können online kaufen und im Laden abholen – oder im Laden kaufen und sich ihre fertiggestellte Brille nach Hause schicken lassen. All diese Services erzeugen einen echten Kundennutzen.
Gerade für uns ist es wichtig, dass wir unser wirklich sehr attraktives Leistungs- und Preisangebot transparent darstellen können. Kunden informieren sich sortimentsübergreifend bekanntlich immer mehr online, bevor sie, wenn überhaupt, in den Laden gehen. Auch diesem Bedürfnis werden wir gerecht – als einer der ganz wenigen Anbieter im Markt.
Bringt die Digitalisierung auch Ihnen als Geschäftsführer eines Handelsunternehmens Vorteile – beispielsweise durch Retail Analytics?
Alle beschriebenen Vorteile helfen mir, weil sie einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass wir seit einigen Jahren deutlich erfolgreicher als der Markt sind und klar wachsen. Auch Instore Analytics ist etwas, das uns dabei hilft, besser zu werden. Diese Werkzeuge lassen uns besser erkennen, wer unsere Kunden sind, wie sie sich im Laden bewegen, wann sie zu uns kommen und vieles mehr. Es ist eine Binsenweisheit, aber stimmt unverändert: Retail ist Detail – und wer da die heutigen Analysemöglichkeiten nicht nutzt, der bleibt hinter seinen Möglichkeiten zurück.
Gute Aussichten: Dank Retail Analytics kann Apollo das Angebot für seine Kunden ständig verbessern.
Gute Aussichten: Dank Retail Analytics kann Apollo das Angebot für seine Kunden ständig verbessern.
„Die Digitalisierung erfordert einen professionell zu managenden Change-Prozess. Die schwierigere Entscheidung ist oft, was man – noch – nicht macht.“
Lassen Sie uns noch etwas genauer auf diese Analysen blicken. Könnten Sie uns bitte konkrete Beispiele für die Kennzahlen und deren konkreten Nutzen geben?
Das beginnt recht traditionell mit den Kundenzahlen. Da unterscheiden sich die Metriken in einem Ladengeschäft nicht prinzipiell von dem, was man aus der Onlinewelt kennt: Wie groß ist der „Traffic“, und wie ist die „Conversion Rate“ – also wie viele Kunden, die den Laden betreten haben, kaufen dort auch etwas? Aus solchen Kennzahlen lässt sich zum Beispiel erkennen, wann wie viele Kunden kommen. Das hilft uns unter anderem bei der Personaleinsatzplanung.
Und dann gibt es etwas modernere, detailliertere Fragestellungen. Sie reichen eher in den strategisch-konzeptionellen Bereich hinein – deshalb braucht man solche Erkenntnisse auch nicht für alle Läden, in diesen Fällen genügen meist Stichproben. Wenn wir zum Beispiel analysieren, wie viele Kunden wie lange wo im Laden verweilen. Daraus lassen sich gegebenenfalls Optimierungen der Ladeneinrichtung ableiten. Wo sollen wir Waren welcher Preisgruppe ausstellen? Nutzen die Kunden die von uns angebotenen Selbstbedienungsterminals?
Darüber hinaus gibt es auch Erkenntnisse, welche die Arbeitsorganisation und die täglichen Abläufe unserer Mitarbeiter betreffen. Legen die Mitarbeiter zum Beispiel häufig längere Wege zwischen der Kasse und einem in einem Nebenraum installierten Drucker zurück? Dann ist es vielleicht eine gute Idee, an der Kasse einen zweiten Drucker aufzustellen.
Bei solchen Analysen stellt sich natürlich auch immer die Frage nach dem Datenschutz. Wie kann ihn Apollo-Optik sicherstellen?
Wir stellen ihn selbstverständlich sicher. Keine der erhobenen Daten sind auf Individuen zurückführbar. Die Vorgaben sind so eng und werden so streng eingehalten, dass wir im Zweifel sogar auf Detailerkenntnisse verzichten. So dürfen die Gesichter der Kunden nicht einmal kurzzeitig gespeichert werden. Das erschwert es zum Beispiel in einigen Bereichen belastbare Erkenntnisse differenziert nach dem Geschlecht der Kunden zu gewinnen.
Bei allen Themen, die die Mitarbeiter betreffen, stimmen wir uns natürlich eng mit dem Betriebsrat ab. Die Mitarbeiter sind über alle Analysen informiert – und es findet auf diese Weise keine Leistungskontrolle statt.
Apollo-Optik hat in Zusammenarbeit mit Vodafone auch Kunden-WLANs in ausgewählten Filialen installiert. Warum eigentlich?
Wir setzen zunehmend auf die Vernetzung von online und stationär. Da gibt es eine ganze Reihe spannender Konzepte, wie online abrufbare Erklärvideos zu bestimmten Produkten oder digitale Spiegel.
Es ist aber auch ganz klar, dass die Kunden im Laden Preis- und Leistungsvergleiche durchführen. Da wir uns sicher sind, aus solchen Vergleichen als attraktiver Anbieter hervorzugehen, unterstützen wir diesen Wettbewerbsvergleich per Smartphone ausdrücklich.
Worin liegen die größten Risiken für den Handel, wenn er die Digitalisierung verschläft?
Da gibt es eigentlich nur ein Risiko – aber das ist existenziell: Abgesehen von einigen wenigen Nischen werden rein analoge Einzelhändler nicht überleben.
Retail ist Detail: Wer in der Verkaufsbranche mitmischen will, muss sich ständig mit den neuesten Entwicklungen konfrontieren.
Retail ist Detail: Wer in der Verkaufsbranche mitmischen will, muss sich ständig mit den neuesten Entwicklungen konfrontieren.
„Digitale Transformation ist ein massiver Veränderungsprozess, der aktiv gegangen werden muss und bei dem das Management uneingeschränkt vorangehen - und positiv antreiben muss.“
Basierend auf der Erfahrung, die Sie bereits gemacht haben: Welche drei Tipps würden Sie einem Unternehmen in derselben Situation geben?
Erstens: Jeder Tag zählt, denn die Realisierung selbst einfach erscheinender Themen braucht viel Zeit – und Geld. Das gilt insbesondere für etablierte Unternehmen mit einer veralteten und komplexen IT- Architektur. Auch wir sind heute noch deutlich von dem entfernt, was technisch möglich wäre und was wir gerne schon hätten. Das hängt nicht damit zusammen, dass wir ein strategisches Defizit hätten oder nicht wüssten, was alles geht. Doch die komplette Arbeitsweise, lange antrainierte Prozesse und gewachsenen Systeme verändern sich – das muss die Organisation lernen.
Zweitens: Man kann es nicht oft genug sagen: Digitale Transformation ist ein massiver Veränderungsprozess, der aktiv gegangen werden muss und bei dem das Management uneingeschränkt vorangehen und positiv antreiben muss. Ängste von Mitarbeitern und Geschäftspartnern müssen ernst genommen werden, und es bedarf einer zielgruppengerechten und konstruktiven Kommunikation. Kurz und gut: Die Digitalisierung erfordert einen professionell zu managenden Change-Prozess.
Drittens: Ohne klare Priorisierung verrennt man sich. Man kann sehr viel machen, doch was davon bedient lediglich Buzzwords und sieht nur auf PowerPoint gut aus? Entscheidend ist, was wirklich nützlich für den Kunden ist und idealerweise positiv differenziert. Was ist bei internen Prozessen „nice to have“ – und was verringert wirklich die Komplexität, verbessert das Leistungsangebot und macht die Organisation effizienter? Was geht man zuerst an, und was muss warten? Wo kann man mit einem Workaround arbeiten, und wo muss man zunächst Strukturen schaffen und Geschäftsprozesse anpassen, bevor man zu programmieren anfängt? Die schwierigere Entscheidung ist oft, was man – noch – nicht macht.
So bekommen Sie mit digitalen Lösungen mehr Kunden ins Geschäft: